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Bundestagswahl Wahlkampf mit Samthandschuhen?

Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz sind in die heiße Phase gestartet. Kann Schulz den Rückstand noch aufholen?

14.08.2017, 05:38

Berlin (dpa) l Martin Schulz gibt sich als Staatsmann mit eisernen Prinzipien. "Es gibt Situationen, da muss ein Volk zusammenhalten", sagt der Herausforderer mit ernster Miene. ZDF-Interviewer Thomas Walde hat den SPD-Chef gerade gefragt, was er denn in der Korea-Krise anders machen würde als die CDU-Amtsinhaberin Angela Merkel. Nix, macht Schulz mit wenigen Sätzen klar: "Deshalb kann sich jeder Deutsche darauf verlassen, dass ich jedenfalls eine solche Krise nicht zum Wahlkampfinstrument mache." Das sei sein Prinzip und das werde er nicht aufgeben. Ein Prozentpunkt mehr oder weniger in den Umfragen sei ihm da schnurz.

Seit Wochen dümpeln die Umfragewerte für die SPD von Schulz zwischen 23 und 25 Prozent – genauso festgenagelt wie die Unionszahlen zwischen 38 und 40 Prozent. Und das trotz der teils um 10 Punkte abgestürzten Zustimmungswerte für die Arbeit Merkels. Schulz weiß: Jetzt gilt's, wenn er nicht ähnlich wie seine Vorgänger aus der Wahl kommen will, die auch an der Teflon-Kanzlerin gescheitert sind. Er muss also eigentlich stärker auf Angriffsmodus schalten. Kann Schulz noch aufholen?

Noch am Samstag liefern sich der SPD-Chef und die Kanzlerin einen veritablen verbalen Schlagabtausch in der Abgas-Affäre. Nachdem sie ihm zum Wahlkampfauftakt in der SPD-Hochburg Dortmund bescheinigt, sein Vorschlag für eine europaweite Elektroauto-Quote sei "undurchdacht", keilt Schulz zurück, Merkel betreibe Politikverweigerung. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kündigt an, die Schonzeit für die Kanzlerin sei vorbei. Das klingt wie ein Wahlkampfstart, der nichts für Weicheier ist.

An diesem Sonntag dann also die beiden Schulz-Auftritte im Fernsehen, beim ZDF und beim Privatsender RTL. Beim Diesel-Thema, bei dem viele SPD-Anhänger genauso empört über die Autobosse sind wie jene von der Union, fährt der Kandidat eine Attacke auf die "verantwortungslosen" Automanager, die "die Zukunft verpennt haben". Abgesehen davon, dass sich Merkel in Dortmund fast genauso geäußert hatte, fehlt bei Schulz dann aber nicht nur bei diesem Thema jeder persönliche Angriff auf die Kanzlerin. So, als ob er sich bei ihr die Taktik abgeschaut hat, den Gegner nur nicht durch zu scharfe Attacken aufzuwerten. Lediglich Verkehrsminister Alexander Dobrindt von der CSU kriegt ein paar süffisante Bemerkungen ab.

Routiniert spult Schulz die zentralen Themen seiner Kampagne ab. Gespaltenes Land, mehr Geld für Soziales, Bildung, Sicherheit. Doch wenn der Kandidat daran erinnert wird, dass seine Partei ja schon lange in der großen Koalition Mitverantwortung trägt und die SPD in 11 von 16 Landesregierungen sitzt, belehrt er die Frager genervt, der Kanzler habe die Richtlinienkompetenz, und das sei schließlich noch nicht er. Für die Blockadepolitik der anderen Seite könne er ja nichts. Der "anderen Seite" sagt er, und nicht: Merkels Blockadepolitik.

Bei RTL gibt Schulz dann den harten Hund, als er von einem Verbrechensopfer gefragt wird, was er für mehr Sicherheit auf den Straßen tun werde. Bessere Ausstattung und mehr Geld für die Polizei verspricht er. Als Sohn eines Streifenpolizisten wisse er schließlich, wo die Beamten der Schuh drückt. "Es darf nicht sein, dass die Kriminellen Ferrari fahren und die Polizei fährt auf dem Fahrrad hinterher."

Als eine Frau aus Frankfurt/Main erzählt, dass sie sich in ihrem Viertel nicht mehr sicher fühle, weil sich verfeindete Banden unter den Augen der Polizei Schießereien liefern, wird der SPD-Chef markig: Zwar könne er nicht versprechen, dass sich die Lage schon am Tag nach der Wahl geändert habe. Aber: "Ich habe für diese Typen nicht nur kein Verständnis. Ich bin der Meinung, die müssen richtig mal eins auf die Mappe kriegen. Damit sie spüren, wer im Land das Sagen hat." Beifall. Schulz weiß: Das Thema innere Sicherheit darf er nicht vernachlässigen, will er noch eine Chance gegen Merkel haben.

Infografik: Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre (KW 31) | Statista Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Den Fehler, sich wie vor kurzem öffentlich Gedanken zu machen, wie es denn nach einer verlorenen Wahl weitergehen könnte (er will SPD-Chef bleiben), will der Herausforderer an diesem Tag jedenfalls nicht wiederholen. Trotz der Umfragewerte macht er lieber auf Optimismus statt auf Weinerlichkeit: Klar werde er Kanzler, sagt Schulz. "Ich hab' nix gegen 'ne große Koalition unter meiner Führung. Wenn dann die CDU als Juniorpartner eintreten will, soll'n sie sich das überlegen." Aha. Dabei dürfte auch der SPD klar sein: Bleibt es bei den Werten der Demoskopen, hat Schulz kaum eine Machtoption. Außer in einer weiteren großen Koalition – als kleiner Partner.

Beim Eintreffen zur ZDF-Aufzeichnung in der hippen Kulisse des Start-up-Campus "Factory" in Berlin-Mitte hatte der SPD-Chef noch einen Blick in die Wahlkämpfer-Seele erlaubt. Auf die Frage, wie er denn mit den miesen Umfragewerten aufstehe, sagt Schulz tapfer, das sei ja nicht sein erster Wahlkampf. Er sei sich "immer darüber im Klaren gewesen: Wer in die Politik geht, der muss auch mit den Härten des politischen Alltags leben. Das ist natürlich nicht schön." Aber dann feuert er sich doch wieder an: "Der Wahlkampf lohnt sich bis zur letzten Minute. Die Bundestagswahl ist nicht entschieden."