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Neuwahl Grüne feiern Realo-Doppelsitze

Die neue Parteispitzen der Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock, strahlen in Hannover Optimismus aus.

Von Teresa Dapp 28.01.2018, 23:01

Hannover l Robert Habeck und Annalena Baerbock fallen sich in die Arme. Sie strahlen, winken, feiern, werden gefeiert. Das sind die beiden, die für eine neue Zeit bei den Grünen stehen sollen. Für frische Ideen, für Lust auf Politik und gute Laune. Für diese neue Doppelspitze sind die Grünen am Wochenende gleich mehrfach über ihren Schatten gesprungen, haben Traditionen über Bord geworfen. Habeck und Baerbock gehen mit einem gewaltigen Vertrauensvorschuss an den Start.

Dass der 48-Jährige aus Schleswig-Holstein und die 37-jährige Wahl-Brandenburgerin gemeinsam an die Spitze der Grünen rücken, wäre vor ein paar Jahren – oder Monaten? – nur schwer vorstellbar gewesen. Sie gehören demselben Parteiflügel an, zählen zu den pragmatischen Realos. Und da sind die Grünen speziell – oder waren es. Eigentlich gehört in eine Doppelspitze auch jemand vom linken Flügel.

Das neue Spitzenteam hat diese alte Logik vorerst ausgehebelt, weil es überzeugte. Der smarte Landes-Umweltminister aus dem Norden ist seit Jahren erst heimlicher, dann ziemlich gehypter Hoffnungsträger der Partei, der nicht nur bio und cool ist, sondern auch die komplette Gesellschaft versöhnen will. Zuletzt wurde der Wirbel um Habeck so groß, dass er keine Interviews mehr gab, um gegenzusteuern. Was nicht klappte.

Die 81 Prozent bei seiner Wahl am Sonnabend sind ihm lieber als 90 Prozent oder noch mehr. Das sagt er jedenfalls. SPD-Chef Martin Schulz ist mit seiner 100-Prozent-Wahl ein mahnendes Beispiel dafür, wie man Fallhöhe aufbauen kann. Die Wahl sei kein Grund zum Feiern, sagt Habeck vorsichtshalber, sondern eine Aufgabe, die er mit einer „gewissen Demut“ angehe.

Seine Bewerbungsrede über links und liberal und was das 2018 heißt geriet etwas verkopft, aber die Grünen sind so etwas gewohnt. Signalwörter wie „Umverteilung“ dürfen als Friedensangebot an den linken Parteiflügel verstanden werden.

Denn dem hat Habeck schon viel zugemutet. Ohne achtmonatige Übergangsfrist werde er nicht antreten, erklärte er am Freitag offen. So lange darf er nun doppelt im Amt sein, als Parteichef und als Landesminister, dafür mussten die Grünen ihre Satzung ändern. Längst überfällig, sagen manche, die die berühmte „Trennung von Amt und Mandat“, noch so eine Heilige Kuh der Partei, am liebsten gleich mitabschaffen würden. Eigentlich eine Frechheit, sagen andere, eine Delegierte warf Habeck gar Erpressung vor. Trotzdem stimmten 77 Prozent dafür – wohl nicht zuletzt weil sich Jürgen Trittin, der immer noch strippenziehende Alt-Linke, hinter Habeck stellte.

Baerbock begann ihre Bewerbungsrede mit der Anmerkung, dass hier nicht die Frau an Habecks Seite gewählt werde, und wurde dafür bejubelt. Energisch, wenn auch spürbar nervös sprach sie zu grünen Herzensthemen, musste oft gegen Applaus anschreien. Die energiegeladene Klimaschutz-Expertin war bis vor kurzem bundesweit kaum bekannt, sie gehörte zum Sondierungsteam der Grünen für die Jamaika-Gespräche. Gegenkandidatin Anja Piel vom linken Flügel, Fraktionschefin in Niedersachsen, hatte mit ihrer ruhigeren Art kaum eine Chance. Sie kämpfte obendrein noch mit ihrer Stimme.

Das neue Spitzenteam der Grünen ist jünger, hipper und vor allem einfach anders als Cem Özdemir und Simone Peter, die es nun ablöst. Die Chemie zwischen den beiden Ex-Parteichefs war bekanntlich schlecht, immer wieder arbeiteten sie gegen- statt miteinander. Habeck und Baerbock kennen sich nicht zuletzt aus der Jamaika-Sondierung und strahlen vorerst Harmonie aus. „Was für ein Auftritt. Vielleicht habe ich ja Glück und darf der Mann an Deiner Seite sein“, flirtet Habeck von der Bühne herunter.

Die Partystimmung ist auch Notwehr. Der Traum vom Mitregieren zerplatzte mit dem Jamaika-Aus, den Grünen stehen Jahre in der Opposition als kleinste von sechs Fraktionen im Bundestag bevor. So energiegeladen, wie die neuen Parteichefs am Sonnabend auftraten, traut man ihnen zu, trotzdem Aufmerksamkeit anzuziehen.

Damit würde sich dann auch ein Gewicht verschieben, weg von der Fraktion, wo weiterhin Anton Hofreiter und Göring-Eckardt das Sagen haben. In GroKo-Zeiten vielleicht keine schlechte Idee. Habeck und Baerbock produzieren an diesem Wochenende jedenfalls schon mal schwungvoll-jugendliche Traumpaar-Bilder, so ganz anders als die besorgt-genervten Groß-Koalitionäre. Inhalte? Sind in Hannover eher Nebensache, obwohl es Beschlüsse zum Insektensterben, zu Waffenexporten und Europa gibt.

Und was heißt es für die Partei, dass nun zwei Realos an der Spitze stehen? Nicht zum ersten Mal übrigens, Fritz Kuhn und Renate Künast waren auch schon mal kurz zusammen Parteichefs, und die waren „Hardcore-Realos“, wie Trittin erklärt. Auch damals sei die Partei nicht nach rechts gerückt. „Das ist nun mal eine ökologische Partei der linken Mitte.“ Für diesen Konsens stehe auch die neue Spitze.