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Regierungsbildung Bürgerversicherung - versprochene Gleichheit

Sollte die SPD in die Bundesregierung eintreten, will sie die Bürgerversicherung durchsetzen. Von der CDU bis zu Ärzten gibt es Widerstand.

Von Steffen Honig 10.01.2018, 00:01

Magdeburg l Das Modell der Bürgerversicherung, wie die SPD sie will, ist einfach: Aus den beiden ungleichen Zweigen der deutschen Krankenversicherung soll eine standfeste, gemeinsame Säule werden. Das hieße: Selbständige und Beamte können wie alle anderen Arbeitnehmer in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einzahlen. Gleichzeitig wird damit die private Krankenversicherung (PKV) ausgedünnt.

Die privat versicherten Beamten und Selbständigen würden die Privilegien der Privatversicherung verlieren, ohne durch den Wechsel in die GKV Einbußen bei der Betreuung hinnehmen zu müssen. Aus Sicht der SPD und anderer Befürworter der Bürgerversicherung würde so die existierende ungerechte Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland verschwinden. Es wäre ein Systemwechsel mit weitreichenden Folgen.

Völlig unnötig findet den Burkhard John, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt. „Wir haben in Deutschland eine medizinisches Versorgung auf extrem hohem Niveau. Es würde sich nichts für die Bürger verbessern. Ich halte einen kompletten Systemwechsel bei einer funktionierenden Versorgung für unsinnig.“

Mit dieser Meinung steht der Ärztevertreter nicht allein. Die privaten Krankenversicherer sind gegen die Bürgerversicherung, schon weil es um ihre Existenz geht. Doch auch die gesetzlichen Kassen, die vermeintlichen Nutznießer dieser Strukturreform, wehren sich. Doris Pfeifer, Chefin des GKV-Spitzenverbandes, meint, dass die offensichtlichen Probleme der Privatversicherungen nicht auf dem Rücken der Beitragszahler der gesetzlichen Kassen gelöst werden dürften.

Und alles, was sich parteipolitisch im Mitte-Rechts-Spektrum bewegt – von FDP über die CDU bis zur CSU – hat mit der Bürgerversicherung nichts im Sinn. Die amtierende Bundeskanzlerin erklärte im vergangenen Dezember: „Ich glaube nicht, dass das Gesundheitssystem dadurch besser wird, dass wir das einigermaßen funktionierende System der privaten Krankenkassen mit den gesetzlichen Krankenkassen zusammenlegen und dann hoffen, dass dann alles besser wird.“

Volkstümliche Schlussfolgerung: „Das wird nicht klappen, so schön wie der Ausdruck auch ist.“ Auch Burkhard John ist sicher: „Die, die Geld hätten, würden Zusatzversicherungen abschließen – die Ungleichheit wäre wieder da.“

Alexander Dobrindt , Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, wischt das Anliegen so vom Tisch: „Die Bürgerversicherung kennen wir aus der linken ideologischen Mottenkiste seit 20 Jahren.“ Er vergisst jedoch zu erwähnen, dass diese Mottenkiste noch handelsfrisch ist gegen jene, aus der die Trennung in private und gesetzliche Gesundheitsvorsorge stammt.

Kleiner Exkurs: Die Krankenversicherung für Arbeiter wurde 1883 in Deutschland eingeführt, mit einer Versicherungspflicht für bestimmte Beschäftigte. Das betraf nur einen kleinen Personenkreis. Deshalb bildeten nicht versicherungspflichtige Berufsgruppen, wie zum Beispiel Lehrer und Geistliche, Versicherungen auf privatwirtschaftlicher Grundlage – praktisch die Geburtsstunde der privaten Krankenversicherung. Mit einer einheitlichen Versicherung würde also eine rund 150 Jahre alte Zweiteilung beendet werden.

Doch bei den zahlreichen Widerständen stellt sich die Frage: Rennen Sozialdemokraten sowie Grüne und Linkspartei, die die Bürgerversicherung ebenfalls fordern, einer Schimäre nach? Ausgewiesener Protagonist der Bürgerversicherung der SPD ist Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Sein Ziel: Eine Bürgerversicherung für alle in Gesundheit und Pflege. „Alle erstmalig und bislang gesetzlich Versicherten werden wir automatisch in die Bürgerversicherung aufnehmen“, bekundet Lauterbach. Dazu zählten auch Beamte, für die in der Bürgerversicherung ein beihilfefähiger Tarif geschaffen werden soll.

Rund 85 Prozent der deutschen Beamten– 3,1 Millionen Staatsdiener – sind nach einer Bertelsmann-Studie privat krankenversichert. Privatversicherte sollen wählen können, ob sie in die Bürgerversicherung wechseln möchten. Zudem solle die gesetzliche Krankenversicherung für Selbständige mit geringem Einkommen günstiger gestaltet werden. Auch für die Ärzte hält Lauterbach eine gravierende Änderung bereit: eine einheitliche Honorarordnung. „Bislang werden Privatpatientienten oftmals bevorzugt, da ihre Behandlung höher vergütet wird. Das werden wir beenden“, so der SPD-Politiker. Dieser Passus macht den Widerstand der Ärzte verständlicher.

Die Befürworter der Bürgerversicherung haben indes 62 Prozent der Deutschen hinter sich. Diese Mehrheit sprach sich in einer repräsentativen Emnid-Umfrage im vergangenen Dezember für die Einheitsversicherung aus. Lauterbach versuchte gegenüber der „FAZ“ Bedenken zu zerstreuen: „Wir wollen die privaten Krankenversicherungen nicht abschaffen. Sie sollen die Bürgerversicherung auch anbieten können.“

Zum Konzept der Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege gehört für die SPD zwingend die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Kassenbeiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dafür brauche es aber keine Bürgerversicherung, meint der Kassenärzte-Chef Burkhard John. Dies könne geändert werden, so dies politisch gewollt werde. „Man kann über alle Modalitäten diskutieren. Deshalb muss man aber nicht das komplette System umstellen.“ In Hamburg bestehe bereits die Möglichkeit, dass auch Beamte in eine gesetzliche Krankenversicherung eintreten könnten und dort ihre Beihilfe einzahlten.

Die große Unbekannte bei einer Einführung der Bürgerversicherung ist die Kostenseite. Während der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinski mit einem Anstieg der Beiträge bei den gesetzlichen Kassen um rund 1,5 Prozent rechnet, erwarten die Kassen zunächst wenig Änderungen.

SPD-Experte Lauterbach glaubt indes an niedrigere Beiträge. Der Zustrom vieler Gutverdiener in einer Bürgerversicherung würde den stetigen Kostenanstieg im Gesundheitsbereich auffangen. Ärztevertreter John erwartet genau das nicht: „Das Riskoprofil der privaten Versicherungen ist nicht viel anders als das der gesetzlichen.“