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Rudi Dutschke "Mein Vater wäre noch auf den Barrikaden"

Welche Rolle hätte der ehemalige Studentenführer Rudi Dutschke noch spielen können?

23.12.2019, 23:01

Hamburg (dpa) l Vor 50 Jahren polarisierte Rudi Dutschke als Anführer der Studentenbewegung die Bundesrepublik – heute würde er nach Ansicht seines Sohnes Brücken bauen. "Er war immer offen und hat mit allen möglichen Leuten geredet, egal ob sie links oder rechts waren", sagt Hosea-Che Dutschke. Aus diesem Grund habe sich sein Vater kurz vor seinem Tod 1979 an der Gründung der Bremer Grünen Liste beteiligt, der ersten grünen Partei, die in ein deutsches Landesparlament einzog.

Rudi Dutschke war am Weihnachtsabend vor 40 Jahren an einem epileptischen Anfall in seiner dänischen Wahlheimat Aarhus gestorben. Er gilt bis heute als Kopf und Idol der 68er Bewegung. Kurz vor Ostern 1968 hatte ihn der Hilfsarbeiter Josef Bachmann in Berlin angeschossen und lebensgefährlich am Kopf verletzt. Sein Tod beim Baden gilt als Spätfolge des Attentats.

Wenige Tage vor dem Mauerbau war Dutschke 1961 aus der damaligen DDR ins nahe West-Berlin geflüchtet. Im brandenburgischen Luckenwalde war er Mitglied der Jungen Gemeinde gewesen und hatte als Pazifist den Militärdienst in der DDR-Volksarmee abgelehnt. Seine erste politische Aktion in West-Berlin hatte sich gegen den Bau der Mauer gerichtet. Dann wurde er zu einem Gegner der parlamentarischen Demokratie, des Eingreifens der Amerikaner in Vietnam und des "Imperialismus".

Zur Frage der Gewalt sagte er 1967 in einem Fernsehinterview des Journalisten Günter Gaus: "Wäre ich in Lateinamerika, würde ich mit der Waffe in der Hand kämpfen." Und er kündigt an: "Es ist sicher, dass wir dann Waffen benutzen werden, wenn bundesrepublikanische Truppen in Vietnam oder in Bolivien oder anderswo kämpfen." Ob das eine ambivalente Haltung zur Gewalt war? "Eigentlich nicht", findet Dutschke jr. im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Es kommt ja immer auf das Handeln an, und seine Handlungen waren nie gewaltsam."

Über die Verbindungen seines Vaters zu Mitgliedern der Terrorgruppe "Rote Armee Fraktion" sagt Hosea-Che Dutschke: "Ich denke, das war eine Sympathie dafür, dass man die bestehende Gesellschaft ändern sollte. Aber auf die Methoden haben sie sich ja nicht geeinigt, Rudi war gegen Mord und sah Baader als einen Verrückten an."

Terroristische Aktionen lehnte der Studentenführer allerdings nicht grundsätzlich ab. Nach Darstellung seiner Frau Gretchen Dutschke transportierten die jungen Eltern 1968 Dynamitstangen im Kinderwagen durch Berlin, den kleinen Hosea-Che zur Tarnung auf der Sprengladung liegend. Rudi Dutschke und seine Freunde überlegten, mit dem Dynamit Anschläge auf US-Schiffe, Eisenbahngleise oder Überlandleitungen als Protest gegen den Vietnamkrieg zu verüben. Diese Pläne seien aber nicht verwirklicht worden, weil möglicherweise Menschen gefährdet worden wären, schreibt Gretchen Dutschke in ihren Erinnerungen.

Eindeutig blieb die Position des Studentenführers zur deutschen Einheit. Zwar verteidigte er die DDR grundsätzlich, sparte aber nicht mit Kritik am SED-Regime und fragte 1977: "Warum ist die Linke in der Bundesrepublik so blind in Bezug auf (...) die deutsche Frage?" Die Mauer fiel erst zehn Jahre nach seinem Tod. Beim Zusammenwachsen zwischen Ost und West hätte er Brücken bauen können, ist Hosea-Che Dutschke überzeugt: "Ich denke, er hätte da einen Unterschied machen können."

Bei den Bürgerrechtlern in der DDR kam das revolutionäre Engagement von Rudi Dutschke offenbar nicht gut an. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck sagt über seine damalige Reaktion: "Ich konnte nicht verstehen, wie man so blöd sein kann, im Kommunismus sein Heil zu sehen." Erst später habe er erkannt, dass eine demokratische Linke mit einem emanzipatorischen Ansatz ein Gewinn für die Gesellschaft sei, fügt Gauck in einem Interview des "Stern" (50/2019) hinzu.

Auf jeden Fall hätte sein Vater weiter Politik gemacht, "ganz bestimmt" bei den Grünen, ist Hosea-Che Dutschke überzeugt. Als Studentenführer hatte Rudi Dutschke den "langen Marsch durch die Institutionen" propagiert. Sein Sohn leitet heute die Gesundheits und Pflegebehörde von Aarhus. Ein wichtiges Anliegen seiner Behörde ist die Bekämpfung der Einsamkeit im Alter. Sein Vater wäre aber kein einsamer alter Mann geworden, ist sich Dutschke jr. sicher. "Ich glaube, der wäre immer noch ein bisschen auf den Barrikaden gewesen", sagt er am Rande einer Tagung der Körber-Stiftung in Hamburg.

Am Weihnachtsabend wird der Sohn wieder an seinen Vater denken. "Dann gehe ich in mich und fühle, und das fühlt sich auch schön an und gut." Für die Revolte seines Vaters hat der Sohn großes Verständnis: "Die Universitäten waren von Professoren total bestimmt. Es gab keine richtige Aufarbeitung mit den alten Nazis. Vietnamkrieg, Imperialismus – in dem Sinne war es einfach notwendig, '68 diese Revolte zu machen."