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Vor Bayern-Wahl Zwischen Rekordmeister und Garnelen

Bei der Landtagswahl in Bayern wird auch über Tradition und neue Vielfalt abgestimmt. Das spürt auch die CSU.

23.09.2018, 23:01

München (dpa) l Hohe Berge, braune Kühe, paradiesische Seen. Dazu Trachtler, Dialekt und Volksmusik im Biergarten: Wer Bayern hört, hat Klischees im Kopf. Klischees einer ganz eigenen Welt, die nicht nur Menschen im Freistaat leben und lieben.

Doch auch in Bayern steht die Zeit nicht still, was zur Landtagswahl vor allem die CSU zu spüren bekommt. „Diese Welt verändert sich, auch in Bayern, schneller, als viele wollen“, ruft Ministerpräsident Markus Söder (CSU) jüngst seinen Anhängern auf dem Parteitag zu. Der Mythos Bayern stehe vor der Herausforderung, Identität und Seele zu erhalten.

Ablesen lassen sich die Veränderungen an den Bevölkerungszahlen. Anfang des Jahres knackte der Freistaat die 13-Millionen-Einwohner-Marke. Der Anteil der Ausländer lag bei 12,6 Prozent, Tendenz steigend. Hinzu kommen die vielen Neu- und Wahl-Bayern, die hier leben. Auch Digitalisierung und technischer Fortschritt tragen zum Wandel bei.

Die Folgen: Bayern wird vielfältiger und das hat Konsequenzen für praktisch alle Lebensbereiche. Wo früher ein Trachtenverein, ein Wirtshaus und ein Fußballverein als Angebot ausreichten, zieht es die Menschen in ihrer Freizeit zusätzlich zum Surfen auf Bäche und Flüsse, in einen unterfränkischen Shanty-Chor, oder sie werden mitten in Oberbayern zum Kiltträger. Und neben Schweinen und Kühen werden im Freistaat längst auch Garnelen und Alpakas gezüchtet.

Auch im bayerischen Landtag könnte es bald Bedarf geben, sich an etwas Neues gewöhnen zu müssen: Nach dem 14. Oktober könnte sich auch hier eine neue Vielfalt abzeichnen: Bis zu sieben Fraktionen könnten im Maximilianeum Platz finden und die Zeit der CSU-Alleinregierung endgültig vorbei sein.

Infografik: Grüne könnten in Bayern zweitstärkste Partei werden | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Die CSU leidet wie andere Volksparteien unter der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers und dem Wandel der Gesellschaft. Seit Jahren stemmt sich die Partei dagegen. Doch bei Wahlen bekommt die CSU nicht mehr alle Menschen unter einen Hut. Will die CSU aber weiterhin ihrem Anspruch als Volkspartei gerecht werden, muss sie für alle sich zerfasernden Milieus wählbar bleiben.

Einen Schlüssel dafür könnte der Heimatbegriff liefern. „Heimat ist ein Gegentrend zur Globalisierung“, sagt Andreas Fischer-Appelt von der gleichnamigen Kommunikationsagentur. Damit verbunden würden Nähe, Kontrollierbarkeit, Geborgenheit. „Die CSU als regionale Partei weiß, wie wichtig Verankerung ist.“

Zum Alltag in der bayerischen Heimat gehören längst aber auch Teile eigentlich fremder Kulturen – etwa die Kiltträger: Rund 500 bis 1000 sind hier und da immer wieder in Bayern zu sehen, schätzt Hans-Jürgen Kaschak vom Bavarian Highland Club.

Längst hat die Bayern Tourismus Marketing GmbH die Vielfältigkeit und die damit gewissermaßen einhergehende Widersprüchlichkeit erkannt – und mit der Kampagne „Bayern – traditionell anders“ in Szene gesetzt. Hier stehen Leute im Mittelpunkt, die Traditionen neu interpretieren: Zu ihnen gehört auch „Lederhosen-Tätowierer“ Michael Thalhammer, der im oberbayerischen Sauerlach Steinböcke, Hopfendolden und Palmen in die traditionelle Tracht brennt. Jedoch sorgt er sich, dass die Politik Heimat und Tradition in ein schlechtes Licht rückt.

Dass die CSU mit „bunt“ gerne mal fremdelt, zeigt sich am Umgang mit Homosexuellen. Gleichgeschlechtliche Liebe lässt sich im Wertesystem der Partei nur schwer abbilden. Als der Bundestag die Ehe erlaubte, setzte bei der CSU Panik ein. „Ein Jahr später können wir feststellen: Es hat keinem geschadet, es ist keine Katastrophe eingetreten“, sagt Patrick Slapal, Landeschef vom Verband der Lesben und Schwulen in der Union.

Das christliche Bayern – auch das ist eine der vielen Schubladen. Die Christlich Soziale Union trägt das C im Namen und beruft sich allenthalben darauf. Nicht zuletzt argumentierte Söder damit, als er vor einigen Monaten verordnete, im Eingang einer jeden Landesbehörde müsse ein Kreuz an die Wand genagelt werden. Die Realität aber ist eine andere: Auch in Bayern laufen den Kirchen die Mitglieder weg.

Auch der deutsche Fußball-Rekordmeister FC Bayern München spielt mit Klischees und Traditionen. Bei den Meisterfeiern zeigen sich die Spieler gerne in Lederhosen, Weißbierdurschen gehören zum guten Ton. Der Verein sucht so den Spagat zwischen US- und Asienreisen und bayerischen Wurzeln. Mit Erfolg. Mit 290.000 Mitgliedern ist der FC Bayern der größte Sportverein der Welt.