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Epidemie Schausteller in Corona-Krise

Volksfeste sind bundesweit abgesagt, der Saisonstart fällt aus: Die Corona-Krise trifft Tausende Schausteller.

04.04.2020, 23:01

Frankfurt/Main (dpa) l In ganz Deutschland stehen derzeit Festplätze leer. Keine funkelnden Fahrgeschäfte, keine johlenden Menschenmassen und kein Bratwurstgeruch, der durch die Luft zieht. Wegen der Corona-Krise wurden die Volksfeste abgesagt, ob der Hamburger Dom, die Palmkirmes in Recklinghausen oder zahlreiche Frühlingsfeste.

In Frankfurt/Main sollte jetzt eigentlich die Jubiläumsausgabe der Dippemess beginnen. Doch auch sie: längst gestrichen. Mehr als eine Million Besucher wurden erwartet. "Das war wirklich schmerzhaft", sagt Veranstalter Kurt Stroscher von der Frankfurter Tourismus und Congress GmbH. "Gerade in diese Jubiläumsdippemess haben wir besonders viel Arbeit und Engagement reingesteckt." Aber die 675. Ausgabe sei ja glücklicherweise nicht verloren, sondern nur verschoben. Das große Problem sei die dramatische Lage der Branche.

Insgesamt gebe es bei den Schaustellern zwar eine große Einsicht für die getroffenen Maßnahmen. "Gleichwohl haben sie größte Bedenken bis zu existenziellen Ängsten." Auch psychisch könne es schwierig sein. "Viele kennen das gar nicht, rumzusitzen", sagt Stroscher. Schausteller zu sein, bedeute ein Leben mit viel Sozialkontakten und einem lebendigen Umfeld.

Anruf bei Christine Beutler-Lotz in Alzey bei Mainz. Auch für sie fällt der Saisonstart quasi aus. Die 60-Jährige ist seit Jahrzehnten als Schaustellerseelsorgerin im Einsatz. Bis zu 50 Kirmesplätze in Hessen und Rheinland-Pfalz fährt sie normalerweise pro Jahr an, geht von Stand zu Stand, von Karussell zu Karussell. Zurzeit ist sie über das Telefon und per WhatsApp mit "ihrer Gemeinde" in Kontakt. "Dieser Stillstand geht vielen an die Substanz", sagt die Pfarrerin. "Schausteller sind es gewohnt, in Freiheit zu leben." Auf engem Raum zu wohnen, sei nicht das Problem, das würden sie kennen. Was fehle, sei das Unterwegssein an der frischen Luft und das Reisen von Ort zu Ort.

Hinzu kommen finanzielle Sorgen. "Die Lage ist sehr prekär", zumal die meisten ihr letztes Geld auf den Weihnachtsmärkten im Dezember verdient hätten. Im Winter seien viele Investitionen getätigt oder Fahrgeschäfte gewartet worden. Nun fehlten die nötigen Einkünfte. "Erste Einkäufe für die Buden wurden gemacht. Jetzt sitzen sie auf ihren Teddys, aber die kann man nicht essen." Die Pastorin sagt aber auch: "Die Schausteller lassen sich nicht unterkriegen." Beutler-Lotz kennt sich aus in dem Gewerbe. Sie wuchs selbst auf Rummelplätzen auf. Ihre Eltern hatten eine Losbude.

"Dass die neue Saison jetzt nicht kommt, trifft uns hart", erklärt auch Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes (DSB) und Präsident der Europäischen Schausteller-Union. Nötig seien nun schnelle unbürokratische Sofortzahlungen. Und was die Kredite betreffe, da sei es wichtig, diese mit bezahlbaren Zinsen zu belegen.

Bundesweit gibt es nach DSB-Angaben mehr als 5000 Schaustellerunternehmen, die über 12 300 Geschäfte betreiben, vom Zuckerwatte-Stand bis zur Achterbahn. Damit sind sie den Angaben zufolge auf etwa 9750 Volksfesten und 3000 Weihnachtsmärkten vertreten. Allein auf den Volksfestplätzen werden demnach normalerweise etwa 4,75 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt.

Die Bedeutung der Branche sei gerade in Zeiten wie diesen nicht zu unterschätzen, meint Ritter. "Wir sind auch systemrelevant. Wir sind das größte Antidepressiva im Land", sagt der 66-Jährige. "Wir müssen den Leuten nach der Krise wieder Lebensfreude anbieten und dafür sorgen, dass die Kinder wieder lachen können."

Sowohl Ritter als auch Beutler-Lotz betonen die zupackende Art der Schausteller – auch oder gerade in der schwierigen Zeit. "Sie wollen tatkräftig helfen und das Negative mit Positivem füllen", sagt die Seelsorgerin. "Wir Schausteller sind ja nicht zum Rumsitzen geboren", sagt der DSB-Präsident aus Essen.

Deshalb gebe es die Aktion "Hand in Hand – Schausteller helfen im ganzen Land". So würden beispielsweise Kollegen in Dortmund mit ihren Lieferwagen die dortigen Tafeln unterstützen. Andere – so auch Ritter selbst – fahren mit ihren alten Konzertorgeln vor Altenheime. "Dann spielen wir den Bewohnern ein Ständchen." Und: "Es ist wunderbar, die Freude auf dem Balkon und an den Fenstern zu spüren."