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Erotikmarkt Was hat die Deutsche Bahn mit Pornos zutun?

Mehr Frauen, mehr Vielfalt, mehr Natürlichkeit: Was nach dem Wahlprogramm der Grünen klingt, sollen die Pornotrends 2020 sein.

07.02.2020, 07:48

München (dpa) l Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt einen Porno gesehen? Und nach welchen Begriffen haben Sie gesucht? "Deutsch" ist den Statistiken der Plattform Pornhub zufolge Suchwort Nummer eins unter Nutzern aus Deutschland. Deutlich häufiger als im Rest der Welt schauen die Deutschen demnach auch Videos aus den Kategorien "Pissing" und "Fetish" – was immerhin keiner großen Erklärung Bedarf.

Glaubt man den Trendreports 2020 von xHamster und Stripchat, ist der Erotikmarkt im Wandel: Frauen spielten eine immer größere Rolle, vor allem als Kundinnen. Sie machten inzwischen bis zu einem Drittel aller User aus. In der Darstellung werde zum Beispiel "Hotwifing" populärer, beschrieben als "stolze Präsentation offener Beziehungen, bei der der Mann durch das Vergnügen seiner Frau erregt wird". Zudem seien Natürlichkeit und Vielfalt populär, gemessen an der Nachfrage nach Amateurpornos oder Begriffen wie Polyamorie und Transporn. Selbstredend nutzen Anbieter solche Studien auch zu Marketingzwecken.

Das boomende Thema Achtsamkeit führe zu zärtlicherem, sanfterem Sex, hieß es jüngst in einer Umfrage des Datingportals secret.de unter der Überschrift "Vor allem Männer mögen Kuschelsex". In den Ausführungen dazu spricht secret.de-Expertin Andrea Bräu von einem Bewusstseinswandel: "Die Menschen haben keine Lust mehr, immer zu performen, zu funktionieren, und das gilt auch für den Sex. Denn mit einem erfüllenden, erotischen Erleben haben Turnübungen und Höchstleistung nichts zu tun." Im starken Kontrast dazu stehen die nach wie vor oft angeklickten Filme aus Kategorien wie "Anal", "Blackmail" (Erpressung) oder auch "Fisting".

Tatsächlich verändert sich die Gesellschaft, auch was die Vorlieben beim Sex angeht, wie Ulrich Köhler vom Trendbüro in München sagt. "Gerade die jüngere Generation ist damit aufgewachsen, dass Vielfalt selbstverständlich ist." Das gelte gleichermaßen für die Sexualität und zeige sich in einer größeren Auswahl an Spielarten. "Es kann mehr ausprobiert werden." Das sehe man bei Beziehungsformen etwa mit Patchworkfamilie und offener Partnerschaft ebenso wie beim Sexleben.

Die Branche reagiere auf die sich ändernde Zielgruppe, erläutert der Sprecher der Erotikmesse Venus, Walter Hasenclever. Dort sei der Anteil weiblicher Besucher 2019 auf 40 Prozent gestiegen. Es kämen auch mehr Paare, um gemeinsam für ihr Liebesleben einzukaufen. Die Aussteller hätten sich gewandelt: mehr erotische Produkte wie Wäsche und Spielzeug – weniger Pornografie, so Hasenclever. "Erotikfilme für Frauen werden immer stärker, und es gibt immer mehr Anbieter auf dem Markt. Bei Portalen wie xHamster laden immer mehr User entsprechenden eigenen Content hoch, der genau diese Wünsche widerspiegelt."
Besonders die "Generation Z", die ab dem Jahr 2000 Geborenen, werden den Markt erheblich verändern – da ist sich Köhler ebenso sicher wie die Porno-Plattformen. Sexuelle Angebote würden größtenteils auf dem Smartphone, also mobil konsumiert. Live-Angebote etwa vor der Webcam seien gefragt. Das passe zu den sogenannten Digital Natives, die mit Handy, Skype und FaceTime aufgewachsen sind. Sie hätten ein größeres Interesse an (vermeintlicher) Nähe und Authentizität, sagt Köhler.

Für die Unternehmen ist das lukrativ: Mehr als die Hälfte der unter 24-Jährigen gibt laut dem Trendbericht von Stripchat Geld für Live-Cams aus. Fast acht Prozent sogar mehr als 1000 Euro im Monat, heißt es da. Und die Studienmacher scheinen selbst überrascht, kommentieren sie diese Zahlen doch mit einem "erstaunlich".

Für andere sind das Warnsignale: Gerade viele junge Menschen seien mit den Möglichkeiten vollständig überfordert, sagt die Münchner Sexual- und Paartherapeutin Heike Melzer. Sie sehen in der Pornoindustrie schon vor oder spätestens während der Pubertät "alles, was es auf diesem Planeten gibt oder in den Vorstellungen von findigen Produzenten existiert". Dabei würden reale und virtuelle Welten vermischt. "Und vor allem kann in den Comic-Porno-Produktionen alles dargestellt werden, was im realen Leben nicht vorstellbar ist: überzeichnete Gesichter, Brüste, Penisse, Sex mit Monstern und extrem jungen Darstellern." "Hentai" lautet hier ein gängiges Suchwort.

Auffällig bei dem Thema: Die Studien der Pornoseiten befragen nur Erwachsene. "Wir wissen aber zuverlässig, dass Kinder, sobald sie ein Smartphone haben, unwillkürlich mit Pornos in Kontakt kommen. Und die Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die Pornos täglich schauen, ist beachtlich", sagt Melzer. Süchte entstünden in der Pubertät, Pornos beeinflussen die Wünsche. "Und dies ist Grund zur Sorge."

Ihre Praxis sei voll von Sex- und Pornoabhängigen oder Menschen mit sexuellen Funktionsstörungen. Auch steige die Zahl "Unberührter", die schon alles gesehen, aber noch keine realen sexuellen Erfahrungen haben. Zudem sei eine große Orientierungslosigkeit festzustellen.

"Auch in der Sexualität finde ich viele haltlose, verunsicherte Menschen, die sich nicht mehr nur von einem Orgasmus zum nächsten hochjubeln, sondern hinterfragen ob das nicht alles Junkfood für das Gehirn ist", so Melzer. "Das sind Menschen, die sich für ihr Belohnungssystem interessieren und der ganzen Pornoindustrie den Stinkefinger zeigen. Die sich entkoppeln und wieder autark und frei Sexualität in der Beziehung erleben, ihre Sinnlichkeit erhalten wollen. Und die nach der Bedeutung fragen, die Sexualität hat."

Geerdet klingt auch das vielleicht Kurioseste in all den Studien: Bei Pornhub ist 2019 ein Begriff stolze 1544 Prozent mal häufiger gesucht worden, den wohl kaum jemand mit Sex verbindet: "Deutsche Bahn".