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Leitartikel Die Wieder-Auferstehung zu Ostern

Warum „Ostern“ schon immer das wichtigste Fest der Menschheit war

Von Alois Kösters 11.04.2020, 01:01

Magdeburg l Mein Großvater lebte immer wie in Zeiten von Corona. Nur eine einzige große Reise nach Frankreich. Die brachte ihm eine Kugel und drei Monate Lazerett ein. Er blieb lieber zu Hause. 2,5 Hektar, seine Frau, sechs Kinder. 15 Fahrradkilometer der Radius. Einmal im Jahr in die große Stadt zum Viehmarkt, Ferkel besorgen.

Seine Söhne reisten auch nur einmal. Pauschal nach Frankreich und Sibirien. Die Rückreise aus dem Gulag verzögerte sich. Der eine verlor seinen Glauben an Gott, der andere zehn Jahre seines Lebens, über die er nie ein Wort verlor.

Zu Ostern sehen wir sie alle wieder. Ich sehe Großvater auf seinem Feld stehen. Fettes Gras, zwei Kühe und Söhne, Gattinnen, Töchter, Schwiegersöhne, Enkel, sogar Ur-Enkel wuseln umher. Bunte Eier fliegen, ein Papierdrache steigt in die Lüfte, ein Kind weint. Opa klopft lachend seine Pfeife aus.

War es „Resilienz“, eine individuelle Fähigkeit, die es den Verwundeten, Verstörten und Traumatisierten ermöglicht hat, im Leid nicht zu verzweifeln und neu anzufangen? Nein, es war eine gemeinsame österliche Hoffnung, die während ihres Lebens immer wachgehalten wurde. Vielleicht ist es eine ganz natürliche Hoffnung.

Der alte Germane, der in seinem Holzverschlag fror und kurz überschlug, wie lange seine kargen Vorräte noch reichen würden, wusste, dass der Frühling kommen wird. Dann würde das ganze Dorf „Austrō“, die Morgenröte feiern. Ganz bestimmt.

In diesem Jahr fallen das jüdische Pessach und das christliche Osterfest zusammen. Vor tausenden Jahren, als die Juden die Befreuung aus ägyptischer Gefangenschaft feierten, haben sie nicht ahnen können, dass ihnen noch viel Schlimmeres bevorsteht. Aber das Fest der Befreiung wurde jedes Jahr gefeiert. Die Hoffnung eines ganzen Volkes braucht eine feste Liturgie und ein Datum. Das hat sich bewährt. Nächstes Jahr zu Pessach wird alles besser. Durch Jahrtausende immer wieder. Der Gruß „L‘Shana Haba‘ah B‘Yerushalayim“ - „nächstes Jahr in Jerusalem“, beschwört die unerschütterliche Hoffnung, dass alles wieder in Ordnung kommt.

Und was ist mit dem Tod selbst, bei dem sich wirklich niemand Hoffnung machen kann, ihm aus dem Weg zu gehen? Die Reise ohne Wiederkehr? Der Mensch akzeptiert keine absolute Hoffnungslosigkeit. Und wenn es auf Erden auch klar ist, dass jeder irgendwann sein letztes Osterfest erlebt, dann gibt es trotzdem noch Möglichkeiten. Juden, Muslime oder Christen schauen ins Transzendente. In das, was jenseits der Erfahrung und des Gegenständlichen liegt. Das ist unzweifelhaft vorhanden.

Und wenn es auf Erden keinen Grund mehr gibt, in dem ein Anker Halt finden könnte, dann werfen sie den Anker einfach unendlich weit hinaus ins Tranzendente. So bleibt die Hoffnung, dass wir irgendwann doch Halt finden. Und wieder ist es der Glauben einer Gemeinschaft, die diese Hoffnung begründet. Das christliche Osterfest ist ein grandioser Beweis dafür, zu welchen Hoffnungsleistungen der Mensch fähig ist. „Tod, wo ist dein Stachel?“, fragt Paulus keck im Korintherbrief. Gemeint ist der größte Schrecken, der zur damaligen Zeit, anders als heute, täglich präsent war. „Im Himmel sehen wir uns wieder“, machte ihn erträglich.

Wir alle werden nie ohne „Ostern“ leben können. Jeder Mensch, der nicht verzweifeln will, braucht sein „Ostern“. „Nach dem Krieg im Kelch“, lässt der Autor Jaroslav Hasek seinen braven Soldaten Schwejk grüßen. Auch das Treffen nach dem Krieg in der Prager Kneipe kann zum Osterfest werden.

Jetzt haben wir Angst vor einer neuen Krankheit und vielleicht noch mehr vor einer Wirtschaftskrise. Aber gerade die Menschen im Osten wissen, dass man auch einen „Shutdown“, eine Stillegung, überleben kann. Okay, mit einigen Blessuren und und ein bisschen Wut im Bauch, weil die Geld-Bazookas 1990 nicht auf Anhieb feuerten und der Staat die Kombinate nicht ausreichend gestützt hat. Aber wir haben wieder eine gute Zeit.

Heute wird es kein Osterfest geben, wie es mein Großvater genossen hat. Opas und Omas vermissen ihre Kinder und Enkel. Wir sollten uns alle verabreden: „L‘Shana Hab a‘ah B‘Yerushalayim“, „Nach dem Krieg im Kelch“, „Ostern 2021 sehen wir uns alle wieder!“ Und schauen Sie genauer hin: Blaukissen, Scilla, Hasenglöckchen blühen. Wie jedes Jahr.

Verlag und Redaktion der Volksstimme wünschen allen Leserinnen und Lesern ein hoffnungsvolles Osterfest!