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Mieträder China als Königreich der Radfahrer

Auf Pekings Fußwegen sorgen Mieträder für Chaos - und sind den Menschen ans Herz gewachsen. Der Radverleih vor allem in Peking boomt.

Von Jan Grüschow 18.05.2018, 23:01

Peking (dpa) l Es ist ein Gewirr aus Fahrrädern. Lieblos zusammengedrängt und wild gestapelt, finden sich Leihräder auf Pekings Bürgersteigen. Die 22 Millionen Einwohner der Hauptstadt sind das Durcheinander gewöhnt. Jeder zweite Einwohner nutzt das Angebot.

Meist gilt es zunächst, das Gefährt aus dem Wust zu befreien. Dann muss der QR-Code ausfindig gemacht werden. Nachdem das kleine gepixelte Quadrat mit dem Smartphone gescannt wurde, schnappt das Rahmenschloss auf. Die Fahrt kann losgehen. Am Ziel angekommen, kann das Rad einfach abgestellt werden. Egal wo – anders als bei manchen Systemen in Deutschland, die (noch) auf feste Stationen setzen. Viele Pekinger sind vom Leihrad begeistert. So auch der junge Manager Ye. Mit seinen Freunden steht der 25-Jährige vor einer Reihe gelber Räder, Richtung Wangfujing soll es gehen, zur bekanntesten Einkaufsmeile der Hauptstadt. „Aber die U-Bahnstation dort ist immer noch ein ganzes Stück von unserem eigentlichen Ziel entfernt. Zum Laufen wäre das zu weit“, sagt Ye.

„Königreich der Fahrräder“, so wurde China noch in den 1980er Jahren genannt. Dann setzte ein rapides Wirtschaftswachstum ein und machte viele Chinesen zu stolzen Autobesitzern. Das Rad wurde verdrängt. Aber dann trat das frei abstellbare Mietrad vor drei Jahren seinen Siegeszug in China an – und erobert inzwischen auch Städte in Deutschland und anderen Ländern. In Peking und anderen chinesischen Metropolen, die unter kilometerlangen Staus und Smog leiden, gehören Leihräder somit wieder zu den wichtigsten Verkehrsmitteln.

Radfahrer müssen aber ihre Sinne schärfen. In der Hierarchie der Straße stehen in China alle über dem Fahrrad. Wer zögert, wird sofort abgedrängt. Hinzu kommt, dass viele chinesische Großstädter das Radfahren nicht mehr von klein auf gelernt haben. Zum Unmut vieler Bewohner verwandeln sich Fußwege und Plätze in einen Dschungel aus Speichen, Lenkstangen und Fahrradrahmen. Wo kein Durchkommen ist, wissen sich manche Pekinger nur mit Gewalt zu helfen.

In Deutschland gibt es ähnliche Probleme, wo Fahrräder schon frei abgestellt werden können. In München sammelt die singapurische Firma oBike gerade etwa 6000 ihrer knapp 7000 Leihräder wieder ein. Das Ausmaß von Vandalismus und die daraus resultierenden Kosten waren der Firma zu hoch. In Peking kommen allerdings 2,4 Millionen Leihräder auf 11 Millionen Nutzer.

Manager Ye und seine Freunde haben ihre Räder freigeschaltet. Der 25-Jährige kann verstehen, dass manche sich an den Fahrradmassen stören, ihn ärgert jedoch etwas anderes. Probleme seien vor allem die ungleiche Verteilung der Räder in der Stadt und zu wenig Wartung. „An vielen Orten kann ich immer noch kein funktionierendes Rad finden, wenn ich es denn brauche“, sagt er. Trotzdem ist das Leihrad nicht mehr aus Peking wegzudenken. Die Fahrräder sind nützlich und günstig. Eine Stunde kostet derzeit umgerechnet etwa 0,13 Euro. Die Billigpreise sind das Ergebnis eines Wettbewerbs, in dem etliche Startups um Investitionen konkurrieren.