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Prozess "Waldläufer" von Oppenau vor Gericht

Bei seiner Flucht entwaffnete Yves R. im Sommer 2020 vier Polizisten. Jetzt steht der "Waldläufer" von Oppenau vor Gericht.

14.01.2021, 12:36

Oppenau (dpa) l Ein einzelner Mann, 31 Jahre alt, entwaffnet vier Polizisten. Er nimmt sich ihre Dienstwaffen. Er verschwindet tagelang im Schwarzwald – und löst damit einen der größten Polizeieinsätze aus, die die Region je erlebt hat. Wer macht so etwas? Wer ist Yves R., bekannt geworden als "Waldläufer von Oppenau", gegen den am Freitag vor dem Landgericht Offenburg der Prozess beginnen wird? Und wie gefährlich ist er?

Die Polizei geht erst einmal vom Schlimmsten aus, als R. im Juli 2020 untertaucht, und entsendet ein massives Aufgebot an Beamten nach Oppenau, wo die Flucht begann. R. hatte dort illegal eine Gartenhütte bewohnt. Der Besitzer erzählt der dpa, er habe ihn dort auf der Eckbank schlafend vorgefunden – umgeben von Waffen: Pfeile, Messer, ein Speer. Er habe sich daraufhin zurückgezogen und die Polizei verständigt. Als R. schließlich von den Beamten kontrolliert wird, gelingt ihm mit deren Dienstwaffen die Flucht.

Spezialkräfte und Suchhunde durchkämmen die Umgebung, Hubschrauber mit Wärmebildkameras kreisen über dem schmucken Schwarzwaldstädtchen, das von steilen Hängen und dichten Wäldern umgeben ist. Erst fünf Tage später wird R. gefasst – ganz in der Nähe, in einem Ortsteil von Oppenau. Wie die Polizei damals berichtete, saß der Mann in einem Gebüsch, die vier Pistolen sichtbar vor sich hingelegt. Bei der Festnahme wird laut Staatsanwaltschaft ein Polizist mit einem Beil verletzt.

In Oppenau rätselt Bürgermeister Uwe Gaiser auch ein halbes Jahr später noch über R.'s Persönlichkeit. Eine auffällige Person sei R. mit seinem langen, schwarzen Mantel und seiner Glatze auf jeden Fall gewesen – zumal im kleinen Oppenau, erzählt Gaiser. "Aber ein richtiger Waldläufer war er nicht." Sonst wäre er wohl weiter gekommen und nicht in der unmittelbaren Umgebung festgenommen worden, mutmaßt er. "Ich vermute, es ist ihm gar nicht klar gewesen, wie intensiv nach ihm gesucht wurde."

In der Stadt hätten die Leute ganz unterschiedliche Meinungen über R. gehabt. Die einen hätten sich schon vor seiner Flucht vor ihm gefürchtet, erzählt Gaiser. "Und dann gab es die anderen, die gesagt haben: "Der ist harmlos.""

Vor allem in den Sozialen Medien hätten sich viele Unterstützer auf R.'s Seite geschlagen – und Drohungen an ihn als Bürgermeister geschickt, etwa für den Fall, dass dem Flüchtigen etwas passiere. Diese Drohungen und Besuche seltsamer Gestalten in Tarnkleidung im Oppenauer Wald nach der Festnahme habe er fast beängstigender gefunden als R. "Ich hoffe, dass es ein faires, gerechtes Urteil mit einem gewissen Augenmaß gibt." Angeklagt ist R. wegen Geiselnahme und gefährlicher Körperverletzung. Wegen des ersten Vorwurfs drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.

Schon vorher war R. kein unbeschriebenes Blatt. Siebenmal sei er verurteilt worden, erklärt ein Sprecher der Offenburger Staatsanwaltschaft. Die schwerste Vorstrafe demnach: Im Jahr 2010 wurde R. vom Landgericht Karlsruhe wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt, die auch vollständig vollstreckt wurde. Daneben trat er mit verschiedenen Waffendelikten in Erscheinung.

Außerdem wurde er laut Staatsanwaltschaft als Jugendlicher unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt. Er habe mit 15 Jahren das Schild eines Jugendwerks durch Entfernen und Hinzufügen von Buchstaben so verändert, dass die Aufschrift die Worte "Juden weg" enthielt.

Ein Oppenauer Wirt beschreibt R. als äußerst ambivalente Persönlichkeit. Er habe den heute 32-Jährigen vor etwa acht Jahren in einer Kneipe kennengelernt, erzählt der Mann. R.'s Auftreten sei oft skurril gewesen: Einmal sei er etwa als Zwerg verkleidet völlig betrunken auf einer Wiese umgekippt. Für Werkzeug und Waffen habe er sich begeistert, sei häufig mit einem Beil herumgelaufen. Über seine frühere Haftstrafe habe er offen gesprochen. Er sei ein hervorragender Handwerker, habe ihm einst sogar bei Renovierungsarbeiten geholfen.

Doch später habe sich herausgestellt, das R. ihn bestohlen habe, sagt der Wirt – das sei ein großer Vertrauensbruch gewesen. Er sei jedoch frei von Rachegefühlen: "Ich finde, wenn jemand mit Anfang 30 sei Leben so an die Wand gefahren hat, dann braucht der Hilfe."

Für den Prozess vor dem Landgericht Offenburg sind vorerst sechs Termine angesetzt. R. hat sich laut Staatsanwaltschaft seit seiner Festnahme nicht mehr zu den ihm vorgeworfenen Taten geäußert. Nun bleibt spannend, ob er am Freitag vor Gericht aussagen wird – und damit zur Lösung der vielen Rätsel um seine Person beiträgt.