Agrofert Stimmt die Chemie?

In Wittenberg hat der umstrittene tschechische Finanzminister Andrej Babiš ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut.

17.05.2017, 23:01

Wittenberg l In Tschechien fordern Tausende Demonstranten den Rücktritt von Andrej Babiš. Der zweitreichste Mann des Landes hat in seiner Heimat eine Regierungskrise entzündet. In Wittenberg hängt er hingegen seelenruhig als Foto an der Wand. Hier wird Babiš verehrt. Bevor er in Prag den Kabinettstisch erklomm, baute er den Konzern Agrofert auf. Heute hat das Unternehmen Beteiligungen in 18 Ländern, mehr als 200 Firmen zählen zum Verbund. Seit 2006 gehören auch die SKW Stickstoffwerke Piesteritz in Wittenberg dazu. „Die Tschechen haben dem Standort eine Zukunft gegeben“, sagt Rüdiger Geserick, der nach dem Agrofert-Einstieg die Geschäfte übernahm.

Mehr als eine Milliarde Euro hat der Konzern seitdem in der Lutherstadt investiert. Andrej Babiš war es, der aus dem Chemie-Moloch ein blühendes Industrie-Paradies machte. „Hätte er nicht seine Ideen umgesetzt, sähe es hier heute anders aus“, sagt Geserick. In Wittenberg ließ Babiš nicht nur die Chemieanlagen des Werks modernisieren. Er baute Betriebskindergärten, errichtete ein Ärztezentrum, sanierte historische Häuser in der Innenstadt, finanzierte ein Museum und ein neues Feuerwehrhaus.

Das Umfeld von SKW lockt neben Fachkräften weitere Firmen an: Ein niederländischer Investor hat riesige Gewächshäuser errichtet, bezieht Wärme und Kohlendioxid für das Gemüse vom benachbarten Stickstoffwerk. Auch die neue Lieken-Bäckerei ist an eine Wärmeleitung angeschlossen. Das Unternehmen gehört seit vier Jahren zum Agrofert-Konzern, der mittlerweile in Wittenberg an seiner Deutschland-Zentrale baut. Beobachter erzählen, wie Babiš früh das Potenzial des Standortes erkannt und das Gelände konsequent weiterentwickelt hat. Der gebürtige Slowake ist mit einer schnellen Auffassungsgabe gesegnet, er kalkuliert, wägt ab und entscheidet. Babiš hat Agrofert so zu einem Konzern mit Milliardenumsätzen gemacht. Der Tscheche ist das Herz der Firma. Dass in Sachsen-Anhalt sein Plan derart gut aufgegangen ist, liegt aber vor allem an einem Mann: Rüdiger Geserick.

Es sind die späten achtziger Jahre, als sich der Deutsche und der Tscheche zum ersten Mal über den Weg laufen. Geserick verdient sich seine Sporen in der freien Wirtschaft bei der Metallgesellschaft in Frankfurt am Main. Babiš arbeitet für das staatliche Handelsunternehmen Petrimex. Beide sitzen sich gegenüber, während ihre Vorgesetzten miteinander sprechen. Geserick erinnert sich, wie er und Babiš oft nächtelang über Papieren brüteten, um die Geschäfte in trockene Tücher zu bringen. „Dabei entstand ein Vertrauensverhältnis“, sagt Geserick heute. Das besteht noch immer, obwohl sich beide länger nicht gesehen haben.

In Wittenberg hält Rüdiger Geserick die Fäden für den Agrofert-Konzern in den Händen. Als Geschäftsführer von SKW ist er für 850 Mitarbeiter verantwortlich. Rund 500 Millionen Euro Umsatz fuhr der Düngemittelhersteller im vergangenen Jahr ein. Geserick hat auch ganz genau im Blick, was in den anderen deutschen Konzernteilen der Agrofert-Gruppe geschieht.

Die Deutschland-Zentrale ist eine Tochterfirma von SKW, die dortige Geschäftsführung berichtet direkt an ihn. Bei dem jüngsten Zukauf Lieken ist Geserick Vorsitzender des Aufsichtsrats. Der 62 Jahre alte Geschäftsmann ist das Hirn des tschechischen Agrofert-Konzerns in Deutschland. Ohne die Augen und Ohren des gebürtigen Hamburgers wird nur wenig entschieden. Geserick ist es auch, der ab und an im Hauptsitz in Prag von den deutschen Geschäften berichten muss. Doch in der tschechischen Hauptstadt hat sich einiges verändert.

Nachdem Gründer Babiš Finanzminister wurde, übertrug er die Agrofert-Holding an einen Treuhand-Fonds. Der Schritt sollte seinen Einfluss im Unternehmen begrenzen. Wie viel Babiš noch zu sagen hat, ist unklar. Doch ganz ohne ihn geht es wohl nicht: Den Vorsitz der Treuhand übernahm seine langjährige Lebensgefährtin und Vertraute. Rüdiger Geserick sagt hingegen: „Die saubere Trennung habe ich von Anfang an gespürt.“ Vorher habe er an einen Aufsichtsratschef berichtet, der auch Eigentümer gewesen ist, jetzt seien elf Vorstände für die Entwicklung des Unternehmens verantwortlich. Geserick, eigentlich ein Befürworter schneller Entscheidungen, muss nun warten. Das gefällt ihm gar nicht.

Dem früheren Firmeneigner Andrej Babiš weht derweil in seinem Heimatland immer schärferer Wind ins Gesicht. Als Finanzminister steht er massiv in der Kritik. Es geht nicht mehr nur um den Vorwurf, vor ein paar Jahren mit der Steuer getrickst zu haben. Es geht um mehrere Tonaufnahmen, die seit Tagen im Internet kursieren. Die Mitschnitte legen nahe, dass Babiš seine eigenen Zeitungen dazu genutzt hat, um Pressekampagnen gegen politische Gegner zu lancieren.

Babiš selbst kalkuliert mit Neuwahlen. Seiner Popularität im Volk haben die Querelen kaum geschadet. Bei der nächsten Parlamentswahl hat seine Partei gute Chancen, stärkste Kraft zu werden – und Babiš Regierungschef.