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Brexit Sachsen-Anhalt bangt um die Briten

Wirtschafts-Kenner rechnen in einer Volksstimme-Umfrage mit negativen Folgen für Sachsen-Anhalt, sollten die Briten aus der EU austreten.

20.06.2016, 23:01

Magdeburg l Sollten die Briten am 23. Juni für den Austritt aus der EU stimmen, könnte der sogenannte Brexit negative Folgen für die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt haben. Das geht aus einer Volksstimme-Umfrage unter regionalen Wirtschafts-Kennern hervor. Besonders fürchten die Experten die Wiedereinführung von Zollschranken. Sollte die britische Wirtschaft nach einem Brexit schrumpfen, könnten auch die Exporte der Firmen aus Sachsen-Anhalt zurückgehen, im schlimmsten Fall stünden Arbeitsplätze auf dem Spiel. Nach Polen ist Großbritannien der wichtigste Exportmarkt für hiesige Unternehmen. Zuletzt exportierten die Firmen Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro auf die britischen Inseln.

Hier die Stimmen der Experten:

Jörg Felgner (SPD), Minister für Wirtschaft und Wissenschaft in Sachsen-Anhalt: Für mich persönlich ist Großbritannien ein leider immer wieder verschobenes Reiseziel, das aber auf meiner Urlaubsliste ganz weit oben steht. Wirtschaftlich betrachtet zählt Großbritannien zu den wichtigsten Absatzmärkten für Unternehmen aus Sachsen-Anhalt. Ein Austritt aus der EU und aus dem europäischen Binnenmarkt hätte daher auch Auswirkungen auf unsere Wirtschaft. Wie groß die Folgen eines Brexits wären, kann aber niemand seriös abschätzen. Das ist letztlich ein Blick in die Kristallkugel. Denkbar ist, dass die Wirtschaft auf der Insel nach dem EU-Austritt schwächer wächst – das würde auch unsere exportierenden Firmen treffen.

Oliver Holtemöller, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle: Persönlich habe ich zwei Ko-Autoren in Großbritannien: einen Deutschen an der University of Aberdeen und einen Inder an der Queen Mary University of London. Daher bin ich immer wieder im Vereinigten Königreich. Ich mag dort besonders das internationale Flair und die Weltoffenheit – und natürlich den britischen Humor. Wirtschaftlich betrachtet habe ich die große Sorge, dass der Brexit die wirtschaftlichen Aussichten Europas erheblich beeinträchtigt. Kurzfristig gäbe es große Verunsicherung, wie der Austritt abgewickelt wird. Vermutlich würde nicht nur das Pfund, sondern auch der Euro an Wert verlieren, das bedeutet ausländische Waren werden für uns teurer. Langfristig würde ich ein weniger wirtschaftsfreundliches Klima (mehr Regulierungen) in der EU erwarten, wenn das wirtschaftsfreundliche Großbritannien bei Brüsseler Entscheidungen nicht mehr am Tisch sitzt. Ferner besteht die Gefahr, dass es zu weiteren Distanzierungen einzelner Länder von der EU kommt. Das würde auch die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt belasten.

Thorsten Hildebrand, Vertriebs-Chef bei Zorn Instruments in Stendal: Persönlich verbindet mich eine große Zuneigung zum Land. Ich war als Student im Sommer 1990 das erste Mal dort. Aktuell bin ich zwei bis drei Mal pro Jahr auf der Insel, meist geschäftlich. Ich habe dort viele geschätzte Kollegen und inzwischen einige sehr gute Freunde. Ich wünsche mir insofern, dass Großbritannien für einen Verbleib stimmt. Allerdings ist die Abstimmung auch ein Zeichen für eine lebendige Demokratie auf der Insel. Irgendwie das Gegenteil des deutschen „alternativlos“. Wirtschaftlich betrachtet könnte es im Fall eines Brexits Währungsturbulenzen geben, weil eine solche Situation die Zocker anlockt. Auf der anderen Seite war der Euro-Pfund-Kurs schon immer sehr volatil. Schwankungen von 25 Prozent über längere Zeiträume sind der Normalzustand. Exporteure müssen daher traditionell mit höchster Qualität und bestem Service auftreten, um im Zweifel höhere Preise zu rechtfertigen. Eine Wiedereinführung von Zollgrenzen möchte ich mir allerdings nicht vorstellen. Aber so verrückt sind nicht mal die Briten.

Roland Harings, Geschäftsführer der Mansfelder Kupfer und Messing GmbH: Für mich persönlich ist Großbritannien weit mehr als ein Handelspartner, das Land ist ein elementarer Teil Europas. Ich bin überzeugt von der europäischen Idee und würde deshalb einen Brexit sehr bedauern. Die Diskussion in Großbritannien verweist aber auf ein wichtiges Problem: Insgesamt muss die EU besser kommunizieren lernen, welche Erfolge sie für die Europäer bereits erreicht hat: Frieden innerhalb Europas, Wohlstand durch Freihandel, demokratische und freiheitliche Mindeststandards, Erfolge im Klimaschutz und eine starke Stimme im globalen Kontext.Wirtschaftlich betrachtet wäre der große Verlierer eines Brexits Großbritannien. Die Briten müssen sich klarmachen, dass knapp 50 Prozent des britischen Handels mit der EU stattfindet, aber weniger als 10 Prozent des EU-Handels mit Großbritannien. Da ich nicht erwarte, dass es im Fall eines Brexits zu Zollhindernissen kommt, rechne ich auch für MKM nicht mit Einschränkungen.

Klemens Gutmann, Arbeitgeber-Präsident des Landes und Geschäftsführer der Magdeburger Regiocom GmbH: Für mich persönlich ist das Fremdeln der Briten mit der europäischen Integration ja nichts Neues, es begann mit Margaret Thatcher. Der Brexit ist aus meiner Sicht nur der Höhepunkt. Für Regiocom selbst hat ein möglicher Brexit keine direkten Auswirkungen. Wirtschaftlich betrachtet müssen die Briten abwägen, ob ihnen der erhoffte Zuwachs an Autonomie und die damit verbundenen Emotionen den zu erwartenden wirtschaftlichen Schaden wert ist. Auch die Firmen in Sachsen-Anhalt würden den Brexit zu spüren bekommen. In der Kreditversorgung werden die Folgen zwar erst einmal überschaubar bleiben. Diejenigen Unternehmen jedoch, die mit englischen Firmen und Standorten Waren- und Komponentenaustausch betreiben, werden eher in Schwierigkeiten geraten.

Klaus Olbricht, Präsident der IHK Magdeburg und Inhaber der Elektromotoren und Gerätebau Barleben GmbH: Persönlich befürchte ich, dass längst gefallene Handelsschranken wieder errichtet werden und neue Barrieren entstehen. Schärfere Kontrollen und Zölle auf Waren und Dienstleistungen würden Exporte und Importe verteuern. Davon wäre auch mein Unternehmen betroffen. Großbritannien ist für uns ein wichtiger Kunde. Unsere Transporte würden länger dauern und auch mehr kosten. Wirtschaftlich betrachtet könnte der Brexit zur Folge haben, dass das Handelsvolumen insgesamt zurückgeht. Damit stünden auch in Sachsen-Anhalt Arbeitsplätze unter Vorbehalt.

Karl Gerhold, Gründer der Magdeburger Getec-Gruppe: Persönlich bin ich gerne und oft in Großbritannien unterwegs. Wirtschaftlich betrachtet wäre der mögliche Brexit ein Fehler der Briten, mit dem sie sich vor allem selbst schaden würden. Ich hoffe, dass hier die Vernunft siegt und es dazu nicht kommt. Auch für Europa und Deutschland hätte ein etwaiger EU-Austritt einer großen Volkswirtschaft wie Großbritannien Folgen. Die Handelsbeziehungen sind sehr vielfältig und eng, Marktzugänge müssten dann neu definiert werden. Im Finanzsektor wäre ein Brexit kurzfristiger spürbar, jedoch warne ich vor Panikmache. Marktentwicklung ist immer auch ein Stück weit Psychologie. Negativszenarien herbeizureden schadet da nur.

Hinrich Holm, Vorstand der NordLB in Magdeburg: Persönlich besuche ich regelmäßig unsere Niederlassung in London, von wo aus die NordLB Finanzierungen für Erneuerbare Energien in ganz Europa betreut. Die Briten haben ein ausgeprägtes nationales Selbstbewusstsein. Sie haben aber auch einen ausgesprochen fundierten ökonomischen Sachverstand, der Europa fehlen würde. Wirtschaftlich betrachtet dürften die Folgen eines Brexits für Sachsen-Anhalt verkraftbar sein. Ernster zu nehmen ist das Negativsignal, das von einem Austritt Großbritanniens aus der EU ausgehen würde. Die politische und wirtschaftliche Einheit Europas ist ein nicht zu unterschätzender Wert. Das gilt auch für Sachsen-Anhalt, als Land in der Mitte Europas.