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Fallstein-Gymnasium Die „Innenministerin“ geht

Thea Abel ist seit der Gründung des Osterwiecker Fallstein-Gymnasiums die stellvertretende Schulleiterin. Jetzt verabschiedet sie sich.

Von Mario Heinicke 23.06.2016, 09:43

Osterwieck l Eigentlich hätte Thea Abel noch ein Jahr arbeiten müssen bis zum Ruhestand. Doch sie zog die Notbremse, aus gesundheitlichen Gründen. „Ich habe gekündigt“, sagt sie. Ihren Traumberuf gekündigt. „Ich habe wirklich lange überlegt. Seit der ersten Klasse wollte ich immer Lehrerin werden.“

40 Dienstjahre sind zusammengekommen, davon 33 als stellvertretende Schulleiterin. Alle hat sie in der Mauerstraßenschule, wo sich früher die Wilhelm-Pieck-Schule befand und heute das Gymnasium ist, absolviert. Hier war sie auch selbst schon zur Schule gegangen. Als sie 1976 mit nur 22 Jahren in den Schuldienst trat, waren ihre alten Lehrer plötzlich ihre Kollegen.

Thea Abel ist Fremdsprachenlehrerin. Ein Talent, das ihr offenbar daheim in Berßel in die Wiege gelegt wurde. „Als Schülerin musste ich nie Vokabeln lernen.“ Besonders hat es ihr die französische Sprache angetan. „Mein Vater war in französischer Kriegsgefangenschaft, er hat immer vom Land und der Lebensweise geschwärmt.“ Ab der zehnten Klasse konnte Thea Abel in einer Sprachklasse an der EOS in Halberstadt selbst Französisch lernen. „Von uns 24 Schülern sind später acht Französischlehrer geworden.“ Ein Verdienst auch ihrer damaligen Lehrerin Inge Kallenberger.

In der DDR wirklich Französisch unterrichten zu können, war indes eine ganz andere Sache. Als Thea Abel in Osterwieck ihre Arbeit unter Direktor Dieter Wenderoth aufnahm, wurde hier zunächst nur eine Russischlehrerin benötigt. Aber das war das kleinere Übel gegenüber dem Plan des Staates, die junge Lehrerin an eine Schule in Schönebeck zu schicken. Sie hatte in Halle als weiteres Unterrichtsfach Russisch studiert, ging dabei auch ein Jahr zum Auslandsstudium nach Woronesch, einer Stadt zehn Zugstunden südlich von Moskau.

Ab ihrem zweiten Dienstjahr übernahm Thea Abel auch den Englisch-Unterricht in den 7. und 8. Klassen. Ohne Ausbildung. Hier half wieder ihr Sprachtalent.

Mit der Wende war für die Lehrerin klar, dass Russisch von den Schülern nicht mehr so viel gewählt werden würde. Der Unterricht lief quasi aus. Sie nahm daher sofort in Leipzig an einem Auffrischkurs für Französischlehrer teil. Als 1991 das Fallstein-Gymnasium gegründet wurde, gab es schließlich vier Lehrer für Französisch. Russisch übrigens ist inzwischen wieder im Kommen, seit zehn Jahren gibt es in Osterwieck jeweils eine Russisch-Klasse.

Schon 1981 wurde Thea Abel stellvertretende Schulleiterin. Was weit mehr bedeutet, als den Direktor bei Abwesenheit zu vertreten. „Der Stellvertreter ist wie ein Innenminister. Er muss Sorge dafür tragen, dass innen alles läuft.“ Damit meint sie vor allem die Unterrichtsvertretungen. „Es gibt im Schuljahr nur vier, fünf Tage, an denen keine Vertretung zu planen ist.“ Die Gründe sind vielfältig: Krankmeldungen, Weiterbildungen, Klassenfahrten, Sportfeste. Daher ist Thea Abel immer schon eine Stunde vor dem Unterricht zum Dienst gekommen, um bei Bedarf alles umorganisieren zu können. Zu sehen an ihrer riesigen Magnettafel, die eine komplette Bürowand in Anspruch nimmt. Zuletzt immerhin 50 Lehrer und 27 Klassen mit 535 Schülern galt es zu verwalten.

Auch die Stundenpläne fürs neue Schuljahr aufzustellen, fiel in ihr Ressort. Eine Aufgabe für die Sommerferien. „Man sagt ja Lehrern immer nach, sie haben die ganzen Sommerferien frei.“ Für mehr als zwei Wochen hat es bei ihr zumindest nicht gereicht. Nicht zuletzt war der Sportunterricht mit den anderen Schulen zu koordinieren. Als in Osterwieck noch eine Sekundarschule existierte, war das besonders eng, mussten sich teils vier Klassen die beiden Turnhallen teilen – bei viel zu wenigen und zu kleinen Umkleideräumen.

Nun also ist Schluss. Ihr Mann ist schon seit drei Jahren zu Hause. Thea Abel kann sich künftig vorstellen, bei der Ortschronik mitzuhelfen, so wie ihre Schwester in Berßel. Auf jeden Fall wird sie die Französisch-Institution in Osterwieck bleiben. Vom ersten Tag an hat sie die Bemühungen um die Städtepartnerschaft mit Les Grandes Ventes begleitet, dort nicht nur als Dolmetscher fungiert. Im Verein für Fremdenverkehr und Touristik ist sie auch an der Organisation der Partnerschaftspflege beteiligt.

40 Jahre Lehrerin bedeuten auch, völlig verschiedene Schülergenerationen zu erleben. „Das ist eine Herausforderung für jeden Lehrer und die muss man akzeptieren.“ Thea Abel hat die Erfahrung gemacht, dass die „Jugend einen auch selbst jung hält. Man hat eine andere Sichtweise, als wenn man nur die Enkel als junge Leute in der Familie hat.“

Das Fallstein-Gymnasium und deren Jugend wird Thea Abel auch nach ihrem Abschied weiter im Blick haben. Dann aber als Nachbarin aus dem heimischen Garten.