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Ballett-Premiere Vom unendlichen Leid der Mutter

Die Premiere der Uraufführung von „Stabat Mater“ war ein grandioses Ereignis. Stehende Ovationen im Magdeburger Theater.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 04.10.2015, 23:01

Magdeburg l Das Gebet „Stabat Mater“ der Gottesmutter Maria während der Kreuzigung ihres Sohnes Jesus gehört zu den meistvertonten sakralen Texten der Welt. Mit musikalischen Anleihen bei Benjamin Britten und Ralph Vaughan Williams führt Magdeburgs Ballettdirektor Gonzalo Galguera sehr behutsam seine Tanzkompanie zu dem großen orchestralen Werk von Gioacchino Rossini.

Mit zögernden, fast ängstlichen Schritten erkundet Solotänzerin Lou Beyne als Gottesmutter Maria den Raum, der, einem Tunnel gleich, einengt und doch wegweisend ist. Die Künstlerin, die für den Titel „Deutschlands Tänzerin Nummer 1“ nominiert ist, beeindruckt an diesem Abend vor allem durch unglaubliche Tiefe der tänzerischen Gestaltung, eine sich selbst zurücknehmende und damit um so größere emotionale Wirkung beim Ausdruck von Trauer, Schmerz, Verzweiflung, aber auch Hoffnung.

Sie verkörpert ganz in Weiß die Unberührtheit, die Klarheit, während sich die übrigen Tänzer in ihren gleichen blau-grauen Kostümen fast nicht von der Umgebung abheben. Es ist die „graue Masse“, in der sich alles Menschliche, ob Gleichgültigkeit oder Mitleid, Freude oder Trauer, Hohn oder Aufrichtigkeit widerspiegelt. Und das in sehr eindrucksvollen Bildern, die sich immer aufs Neue verändern, immer neue Bewegungsfacetten zeigen, und so die unendliche Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten des Tanzes dokumentieren.

Das Bühnenbild, an dem Gonzalo Galguera mitgewirkt hat, in das wesentliche Intentionen seiner Ballettinszenierung einflossen, hat großen Anteil an der spirituellen Präsenz der Aufführung. Es ist äußerer Schauplatz der Kreuzigung, des Schmerzes und des unendlichen Leids einer Mutter und gleichzeitig Bühne ihres inneren Seelenzustandes. Dieser Wechsel von Außen und Innen ohne Umbau, allein durch die Darstellung, Licht oder Video-Einspielungen, ermöglicht den fließenden Übergang der einzelnen Bilder des „Stabat Mater“-Gebetes zu einem Gesamtkunstwerk, den spannungsvollen Wechsel von statischen zu bewegten tänzerischen Bildern.

Rossinis musikalisches Werk, entstanden eigentlich als Gefälligkeit, nachdem er sich bereits mit 37 Jahren als umjubelter Kompositionsstar zur Ruhe gesetzt hatte, hat sowohl sakral-liturgische, als auch sehr weltliche Opernmerkmale. Michael Balke, 1. Kapellmeister der Magdeburgischen Philharmonie, hat genau diese Intention aufgegriffen und bewundernswert mit den tänzerischen Bildern, dem Chor und den Sängern in Übereinstimmung gebracht. Unter seiner Leitung entwickelt sich die Rossini-Musik zu einem höchst eigenständigen, aber nie dominierenden Klangbild. Diese Balance zwischen Tanz, Musik, Chor- und solistischem Gesang – jedes Genre für sich ausgesprochen qualitätsvoll – ist das Erfolgsgeheimnis.

Das trifft auch vor allem auf die Sänger zu. Bei gemeinsamen Auftritten von Ballett, Sängern und Chor besteht immer die Gefahr einzelner Dominanz. Aber genau das hat Galguera bei seiner Ballett-Inszenierung vermieden. Hier gibt es stattdessen eine Gemeinsamkeit der künstlerischen Ausdrucksformen, die eine enorme Wirksamkeit entfaltet.

Die Sopranistin Hale Soner und die Mezzosopranistin Sylvia Rena Ziegler besetzen die weiblichen Gesangsrollen, in denen sie höchst einfühlsam stimmlich brillieren.

Das Gesang-Tanz-Duett zwischen Sylvia Rena Ziegler und Lou Beyne bietet dabei wohl einen der schönsten Momente dieses großartigen Ballettabends. Der Bass Martin Jan-Nijhof gehört zu den Publikumslieblingen des Magdeburger Theaters und unterstreicht mit einer großartigen Leistung an diesem Abend, warum das so ist. Der Chilene Felipe Rojas Velozo gastiert in dieser Inszenierung im Tenorpart. Er ist auf vielen internationalen Bühnen zu Hause und genießt hohes künstlerisches Renommé.

Einen wichtigen eigenständigen künstlerischen Anteil hat, wie so oft in den Inszenierungen des Magdeburger Theaters, der Chor. Unter der Leitung von Martin Wagner trägt er auch diesmal zum großen Erfolg bei. Besonders in der großen Amen-Schlussszene gibt es sogar tänzerische Ansätze.

„Stabat Mater“ ist ein zutiefst religiöser Text. Die Spiritualität daraus auf die Bühne zu bringen, ohne die rein menschlichen Gefühle, wie Leid, Trauer, den Schmerz einer Mutter, die den Tod ihres Sohnes miterleben muss, zu überdecken – das ist ganz große Kunst.

Die nächste Vorstellungen des Balletts „Stabat Mater“ sind am 18. und 23. Oktober, am 8. und 28. November und am 10. Dezember.