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Architektur Soziale Bindung war Grundidee des Bauhauses

Arbeiten und Leben in der Gemeinschaft - für den Gründer Walter Gropius war dies einer der Grundpfeiler des Bauhauses.

Von Beate Hagen 09.03.2019, 23:01

Dessau-Roßlau l Nichts sollte geheim bleiben. Am Tag der offenen Tür konnten die Bauhaus-Studierenden einen Meister ihrer Wahl in dessen Haus besuchen. Sie sollten erfahren, wie die Meister ihre Innenräume gestaltet und ob sie ihr Privatleben wohl mit der Lehre in Übereinstimmung gebracht hatten. „Die enge soziale Verbindung, das Maß an Freiheit sollte in offenen Gesprächen probiert werden“, erinnerte sich später Hubert Hoffmann, der von 1926 bis 1928 am Bauhaus in Dessau studierte.

Gelegenheiten, die Meisterhäuser von innen zu betrachten, bekamen die Studenten auch nach Einrichtung der freien Malklassen im Wintersemester 1927/1928. Die malenden und zeichnenden Bauhaus-Meister wie Wassily Kandinsky, Paul Klee oder Lyonel Feininger luden ihre Studenten nach Hause ein. Zwar war der eigentliche Ort der Lehre das Bauhausgebäude, doch ließ sich in den Ateliers der Meister in einer sehr viel intimeren Runde über die Lehrinhalte und über Korrekturen an den Arbeiten der Studenten sprechen.

Die „enge soziale Verbindung“ war eine Grundidee des Bauhauses. Es müsse ein „freundschaftlicher Verkehr zwischen Meistern und Studierenden“ gepflegt werden, hatte Gropius in seinem Gründungs-Programm des Bauhauses gefordert. Mit einigem Erfolg, wie auch Hoffmanns Kommilitone, Werner David Feist, berichtet. Das Verhältnis der Bauhaus-Meister zu den Studenten sei in der Regel partnerschaftlich gewesen. Es habe „ein demokratischer, in mancher Hinsicht egalitärer Geist einer eng verbundenen Gemeinschaft“ geherrscht. Gefördert wurde dieser Geist durch gemeinsame Unternehmungen wie Feste, Ausflüge oder der Besuch von Konzerten, Theatervorstellungen oder Vorträgen.

Im alltäglichen Miteinander wurde der hohe Anspruch jedoch nicht immer eingelöst. So berichtet Feist, dass es zwischen den Meistern, den „alten“ Studierenden und den neu Hinzugekommenen eine „gewisse hierarchische Distanz“ gegeben habe, mit einigen wenigen Ausnahmen wie bei den Meistern Oskar Schlemmer und Joost Schmidt, die diesen Abstand „durch besondere menschliche Wärme überbrückt“ hätten, so Feist weiter.

Wer in der Hierarchie eher oben stand, konnte sich auch über Privilegien freuen, zum Beispiel darüber, eine der 28 Wohnungen im Atelierhaus des Bauhausgebäudes zu bekommen. Sie waren bei allen Studenten heiß begehrt, doch nur die als besonders „vielversprechend erachteten“ Studenten, so Feist, hätten eine Chance gehabt, eine solche Wohnung zu ergattern. Oft wurden sie aber auch an die Jungmeister vergeben, für die in den exklusiven Häusern der Altmeister kein Platz war. Der Versuch, eine Siedlung für die Jungmeister zu bauen, war an finanziellen Schwierigkeiten gescheitert.

Auch unter den Studenten selbst gab es eine gewisse Hierarchie, an deren Spitze wiederum diejenigen standen, die am längsten am Bauhaus und damit schon Teil der Institution geworden waren. Ansonsten seien sie „ein bunt gemischter Haufen verschiedenster Herkunft, Nationalität und unterschiedlichsten Alters“ gewesen, berichtet Feist. Sein Kommilitone Hans Keßler, der 1931 an das Bauhaus kam, machte in einem Brief an seine Mutter folgende Rechnung auf: Von den 140 Studierenden seien 36 Erstsemester, 16 aus dem Ausland.

Die vermögenderen Studenten wohnten in möblierten Zimmern zur Untermiete in gründerzeitlichen Wohnungen oder in nahe gelegenen Siedlungen Dessaus. Andere fanden ihre Bleibe in „winzigen Dachstuben und bescheidenen Zimmern der Kleinstwohnungen, die die Junkers-Werke ihren Arbeitern gebaut hatten“, erinnerte sich später der Kurt Kranz, der von 1930 bis 1933 am Bauhaus studierte.

Doch es gab auch Studenten, die so mittellos waren, dass sie ihre Unterkunft nicht bezahlen konnten. Denn trotz kurzzeitig steigender Prosperität in der Weimarer Republik blieb die Armut ein Dauerthema. Für die armen Studenten blieb der Keller des Bau-hausgebäudes. So erinnerte sich später die Metallgestalterin Marianne Brandt: „Im Kellergeschoss lag der Gymnastikraum, dort gab es einen großen weichen Teppich und obgleich streng untersagt, nächtigten dort einige, die gar nichts ausgeben konnten. Dusche, Bäder. Alles sehr bequem. Nicht schlecht.“

Potenzial für Konflikte gab es am Bauhaus also genug. Sie wurden überlagert von den internen Auseinandersetzungen über die generelle Ausrichtung des Bauhauses, aber auch von den Angriffen von außen. Einer der ersten inneren Konflikte entzündete sich bereits kurz nach der Gründung am Kult um die esoterische, religions- und philosophieübergreifende Weltanschauung Mazdaznan, die mit dem Leiter des Vorkurses, Johannes Itten, in das Bauhaus eingekehrt war und auf einen Teil der Schüler großen Einfluss gewann.

Gropius lehnte diese mystische Heilslehre ab und erhielt dabei Unterstützung von Meistern wie Schlemmer. „Itten will aus dem Bauhaus ein Kloster, mit Heiligen oder doch Mönchen machen“, schimpfte er. Der wichtigste Streitpunkt aber war die Tatsache, dass Itten Gropius neue Ausrichtung auf die Zusammenarbeit mit der Industrie und die damit einhergehende Auftragsarbeit grundsätzlich ablehnte. Im Mittelpunkt stand für ihn der kreative, mit sich und der Welt harmonisierende Mensch. Für Gropius jedoch gehörte Auftragsarbeit zu den zentralen Ideen des Bauhauses, und er befürchtete, dass Ittens Erziehungsziel einen Rückzug in den Elfenbeinturm der Kunst bedeuten würde. Itten reichte 1923 die Kündigung ein.

Bis in die Dessauer Zeit hinein wurden solche Auseinandersetzungen noch als unentbehrlich betrachtet, denn man meinte, dass sie die Kreativität fördern würden. Oskar Schlemmer schrieb, es herrsche ein „Kampf der Geister wie vielleicht nirgends sonst, eine dauernde Unruhe, die den Einzelnen fast täglich zwingt, zu tiefgehenden Problemen grundsätzlich Stellung zu nehmen. Je nach dem Temperament des Einzelnen leidet er unter dieser Vielfältigkeit, oder sie ist ihm höchster Genuss, zersplittert ihn oder festigt ihn in seinen Anschauungen.“

Und Klee befand, dass er die „verschiedenen Kräfte“, die am Bauhaus wirkten, und ihren „Kampf gegeneinander“ bejahe, wenn sich ihre „Reibung in Leistung“ äußere. Doch nachdem Direktor Gropius 1928 das Bauhaus verlassen hatte und von dem Architekten Hannes Meyer abgelöst worden war, wurde es immer schwieriger, die Kräfte am Bauhaus in der Balance zu halten. „Volksbedarf statt Luxusbedarf” lautete nun die Losung. Der Gestalter müsse dem Volk dienen, die Kunst solle nur Mittel zum Gebrauch sein, forderte Meyer. Die Architektur bekam nun einen klaren Vorrang vor der künstlerischen Gestaltung. Aus Protest dagegen, aber auch wegen des auf Markttauglichkeit ausgerichteten Kurses verließen zahlreiche Künstler das Bauhaus, darunter auch Klee und Schlemmer. „Ja, nun geht Schlemmer“, schrieb Feininger 1929 in einem Brief an seine Frau Julia, „nächstens wir, und was dann? Wir sind ja entbehrlich geworden, aber unsere schöne Malergemeinschaft hat ein Ende.“

Inzwischen hatte sich jedoch in Dessau auch der äußere Druck seitens der rechten Gegner auf das Bauhaus verstärkt. Als sich die Studierenden unter Meyers Leitung immer mehr politisierten, wurde er 1930 mit dem Vorwurf der kommunistischen Orientierung von der Stadt Dessau entlassen. Der Gestalter müsse dem Volk dienen, die Kunst solle nur Mittel zum Gebrauch sein, forderte der bekennende Sozialist Meyer.

Sein Nachfolger Mies van der Rohe versuchte, den Ruf des Bauhauses durch die Einführung strenger Regeln wiederherzustellen, mit der Folge, dass die meisten der Lehrer, die noch aus der Gründungs-phase stammten, kündigten. Doch auch der dritte Direktor konnte nicht verhindern, dass die Nationalsozialisten das Bauhaus Dessau im September 1932 schlossen.

Trotz aller Streitigkeiten oder vielleicht gerade auch deswegen – die meisten Bauhäusler erinnerten sich später gern an ihre Zeit am Bauhaus zurück. So schrieb die Weberin Benita Otte im Rückblick: „Es war eine unerhört spannungsvolle Zeit. Von außen politische Angriffe, nach innen die Auseinandersetzung zwischen sehr verschiedenen Richtungen von Welt- und Kunstverständnis. Diese große Freiheit, die oft hart an Grenzen führte, war das Wagnis, das Gropius einging.“