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Ausstellung Zauberhaft und gruselig zugleich

Die Kunststiftung Sachsen-Anhalt zeigt die Stipendiaten-Ausstellung „verwandelt“.

Von Uta Baier 07.10.2020, 06:00

Magdeburg l Engel haben bei Hermann Grüneberg schwarze Federn, Gesichter mit vertikal übereinander stehenden riesigen Augen und verkrüppelte Flügelchen. Liebliche Putti, ätherische Himmelsboten sind das nicht – eher Traumfiguren aus einem erdigen Loch. Albtraumfiguren. Sie passen perfekt in die Auswahl von Stipendiatenarbeiten der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, die jetzt unter dem Titel „verwandelt“ zu sehen sind.

Denn da gibt es bewegungsunscharfe, zerkratzte Porträts von Hanna Sass, einen gefangenen schwarzen Schwan von einer Künstlerin, die sich Dura nennt und ganz viele, zauberhaft-gruselige, surreal-witzige Fantasietierchen von Judith Runge, in denen die Verbindung von edlem Porzellan und Kunststoffmüll zelebriert wird. Es sind Tiere aus der Zukunft, die eine genetische Verbindung mit unseren Plastikabfällen eingehen mussten, um überleben zu können. Sie sind so bunt wie bemitleidenswert und geradezu schrecklich-schön.

Die Ausstellung scheint ein perfekter Kommentar zur direkten Gegenwart – nur wurde sie in einer Zeit konzipiert, die noch nichts von den Beschränkungen und Verunsicherungen der vergangenen Pandemie-Monate wusste, denn ursprünglich sollte sie im Frühjahr bereits eröffnet werden.

Mit der nun eröffneten Ausstellung verführt die Kunststiftung ihre Besucher, die Theorie vom Künstler als Seismografen einer Zeitstimmung zu prüfen. Und zu erkennen, dass es schon länger Gründe gibt, innezuhalten, sich umzublicken, Entwicklungen zu prüfen.

Denn nicht nur die absolut stimmige, elegant inszenierte Werkauswahl von Kuratorin Ines Janet Engelmann ist Monate her, die Arbeiten der neun ausstellenden Künstlerinnen und der zwei Künstler entstanden bereits seit 2017 und spiegeln damit einen viel längeren Zeitraum und ganz andere Krisen als die gegenwärtige.

Etwa den Brand im Atelier von Josefine Cyranka, bei dem Ende 2017 alle ihre bis dahin entstandenen und dort gelagerten Arbeiten verbrannten. Mit dem Stipendium der Kunststiftung schuf sie eine neue Serie von Landschaften nach Fotos, die sie in Armenien gemacht hat.

Es sind Landschaftsandeutungen, ferne Erinnerungen, verschwindende Formen, mehr Seelenzustände und Dokumente privater Verluste als konkrete Beschreibungen. Ungerahmt, auf grobem Papier präsentiert, vermitteln sie den Eindruck vorläufiger Notizen.

Ähnlich erscheinen die „Waldstücke“ von Simone Distler, die Stamm und Ast, Schnee und Himmel so lange reduziert, bis sie kurz vor der Abstraktion sind. Dort hält sie an und hinterlässt dem Betrachter ihre reduzierten Formen. Sie selbst beschreibt diesen Prozess so: „Was ich sehe, versuche ich einzuordnen und zu fassen, doch wenn ich meine, verstanden zu haben, genau dann differenziert, entzieht oder widerlegt sich mir dieses. Es schiebt sich immer erinnerte Wirklichkeit ins Betrachten, und so wird mir jedes Bild zu einer Denklandschaft.“

Das Zitat stammt aus dem Informationsmaterial, das die Kunststiftung jedem Besucher mit auf den Weg durch die Ausstellung gibt. Es enthält kurze, informative, beschreibende Texte zu den Künstlern und ihren Arbeiten und muss hier unbedingt empfohlen werden, weil die Texte weit entfernt vom üblichen, betont unverständlichen Kuratoren-Wortgeklingel sind.

Vom kleinen Glück in einer begrenzten Welt erzählen die an Art Brut erinnernden Zeichnungen von Sarah Deibele. Sie zeichnete mit Zahnstochern, Ästen, Sticknadeln auf Industrieemaille die Geschichte eines Ozeanpianisten, der auf einem Schiff geboren wurde und es nie verließ.

Alles, was er von der Welt wusste, erfuhr er von den Reisenden. Die Selbst-Beschränkungen auf eine Technik, die die zeichnerischen Möglichkeiten stark reduziert, geht einher mit den Selbst-Einschränkungen des Pianisten aus Alessandro Bariccos Geschichte „Novecento“.

Insofern passt die Ausstellung perfekt in diese Wochen und Monate, denn über beiden liegt eine sanfte Trauer, die weniger vom Verlust als vom Einrichten in einer fremden Welt erzählt.

Die Ausstellung in der Kunststiftung Sachsen-Anhalt hat bis zum 25. Oktober jeweils von Mittwoch bis Sonntag zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet. Eintritt 3 Euro, ermäßigt 1 Euro.