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Berlin Alexanderplatz: Passionsgeschichte des kleinen Mannes

Berlin hat wieder einen Franz Biberkopf: Das Deutsche Theater bringt Döblins Großstadtroman Berlin Alexanderplatz auf die Bühne, der als nahezu uninszenierbar gilt. Überzeugt die neue Theaterversion des 500-Seiten-Wälzers?

Von Elke Vogel, dpa 13.05.2016, 10:56

Berlin (dpa) - Fiebriges Verlangen, panische Unruhe - als Franz Biberkopf aus seiner stillen Gefängniszelle in den Großstadtmoloch Berlin entlassen wird, scheint die Stadt den lebenshungrigen, aber gänzlich überforderten Mann mit einem Happs verschlucken zu wollen.

Der Kopf rutscht ihm weg, die Häuser stürzen über ihm ein - so beschreibt Biberkopf, der wegen Totschlags an seiner Freundin im Knast saß, seine Gefühle. 

Schauspieler Andreas Döhler brilliert in der neuen Theaterfassung von Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz als kleiner Mann mit großen Vorsätzen - ein feinnerviger Mensch voller guter Absichten, der mit unstetem, glasigem Blick einer unsicheren Zukunft entgegensieht. Am Deutschen Theater Berlin feierte am Donnerstagabend die vierstündige Inszenierung von Sebastian Hartmann, Ex-Intendant des Schauspiels Leipzig, Premiere. 

Im ersten Drittel der Theaterversion (Hartmann, Meike Schmitz und Ensemble) überzeugt der Regisseur mit einer großartigen Großstadt-Collage, die unmerklich zur Passionsgeschichte des unweigerlich scheiternden Biberkopf wird. Döblins Stil der Montage und der unterschiedlichen sprachlichen Stilmittel ist fast kongenial umgesetzt. Biberkopf und seine Braut Mieze (grandios: Katrin Wichmann) berlinern sich ausdauernd durch ihr tristes Dasein und träumen von einem Leben als anständige Leute.

Im leeren, von grellen Neonröhren auf verschiebbaren Stellwänden erhellten weißen Bühnenrund (Bühne: Sebastian Hartmann) wirkt das sehr authentisch und nie folkloristisch. Riesige Buchstaben-Würfel zeigen den Schauplatz Berlin Alexanderplatz an. Durch die enorme Leistung der Schauspieler, den weitgehenden Verzicht auf Requisiten und die auf Videowände projizierten Zeichnungen über die Stadt in der Weimarer Zeit kommt im Kopf des Zuschauers eine Assoziationskette in Gang. Sie versetzt ihn in das Berlin der 20er Jahre - eine Zeit großer Armut und Arbeitslosigkeit, großer Zügellosigkeit und Hoffnungen.

Nach der ersten Pause entfernt sich Hartmanns Inszenierung aber immer weiter von ihrem Helden, den Döhler als sympathischen Loser darstellt. Berliner Moritaten, Sprechchöre und auf die großstädtische und private Apokalypse verweisende Auftritte vom Tod und biblischen Figuren wie Hiob, Abraham und Isaak - all das ist jetzt nur noch lose und über mehrere doppelte Böden mit Biberkopfs Leidensgeschichte verknüpft. Ganz unter den Tisch fällt die politische Wankelmütigkeit der Hauptfigur, die bei Döblin unter anderem Zeitungen für die Nazis verkauft.

Nach der zweiten Pause des Abends, der am Ende doch noch recht anstrengend wird, soll es um die angestrebte Läuterung des gefallenen Biberkopf gehen, der ob neuerlichen Unglücks schon nicht mehr von dieser Welt ist und in der Nervenheilanstalt endet. Mehrfach kommt Regisseur Hartmann auf Döblins berühmte Schilderungen aus dem Berliner Schlachthaus zurück - auf der Bühne scheint ein nackter, am Ende am Kreuz weinender Mann das Töten der Tiere am eigenen Leib zu erleben. Zwischendurch wechseln kurz die Darsteller von Biberkopf und Mieze.

Neben den berühmten Verfilmungen von Berlin Alexanderplatz mit Heinrich George (Regie Piel Jutzi) und Günter Lamprecht (Regie Rainer Werner Fassbinder) gab es in Berlin schon einige Aufsehen erregende Theaterproduktionen von Berliner Alexanderplatz. Frank Castorf zeigte die Geschichte vor 16 Jahren im leerstehenden Palast der Republik in einem fünfstündigen Theatermarathon. Schauspieler Ben Becker wurde 1999 als Franz Biberkopf am Maxim Gorki Theater gefeiert. Volker Lösch inszenierte Berlin Alexanderplatz 2009 an der Schaubühne. Von Hartmanns Inszenierung wird vor allem Biberkopf-Darsteller Andreas Döhler in Erinnerung bleiben.

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