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Dichterruhm „Am Götterbaum“: Hans Pleschinski über Paul Heyse

Auch Nobelpreisträger werden vergessen. In seinem Roman „Am Götterbaum“ begibt sich Hans Pleschinski auf die Spuren des einstmaligen Bestsellerautors Paul Heyse.

Von Sibylle Peine, dpa 27.04.2021, 07:53
Das Cover des Buches "Am Götterbaum" von Hans Pleschinski.
Das Cover des Buches "Am Götterbaum" von Hans Pleschinski. C.H. Beck Verlag/dpa

Berlin

Ist Ihnen Paul Heyse ein Begriff? Wenn nicht, befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Den meisten dürfte der Name nichts sagen und sie würden sich verwundert die Augen reiben zu hören, dass es sich um einen deutschen Literaturnobelpreisträger handelt.

Paul Heyse (1830-1914) war sogar der erste belletristische Autor aus Deutschland, der 1910 mit dieser höchsten literarischen Auszeichnung gewürdigt wurde - noch vor Gerhart Hauptmann und lange vor Thomas Mann. Und doch: vorbei und vergessen.

Kaum bekannt ist heute mehr, dass Heyse ein regelrechter Star seiner Zeit war. Kein Geringerer als Theodor Fontane sprach sogar neidisch von einem „Heyse’schen Zeitalter“. Der ungemein produktive Bestsellerautor hatte jahrzehntelang eine riesige Fangemeinde und scharte als Dichterkönig in seiner Villa in München eine Art Hofstaat glühender Bewunderer um sich. Doch wer liest noch seine Novellen (180 an der Zahl!), seine voluminösen Romane oder seine unzähligen Gedichte?

Etwas allerdings erinnert noch an den verblassten Dichterruhm. In München hat in der Nähe des Königsplatzes die Villa Heyse überlebt. Das etwas verwunschene Haus wurde in den vergangenen Jahren zu einem Zankapfel zwischen Investoren, die es kurzerhand abreißen wollten, und Anwohnern und Denkmalschützern, die mit viel Herzblut für seinen Erhalt kämpften. Letztere setzten sich nach langen juristischen Gefechten durch. Doch wird damit auch der einstige Bewohner dem Vergessen entrissen? Genau darum dreht sich Hans Pleschinskis Roman „Am Götterbaum“.

Drei Kulturfrauen machen sich auf den Weg zu einer Ortsbesichtigung. Es geht um die Frage, ob es sich lohnt, aus der heruntergekommenen Heyse-Villa eine Gedächtnisstätte oder ein Kulturzentrum zu machen. Die Frauen sind da durchaus unterschiedlicher Ansicht. Während die Münchner Stadträtin Antonia Silberstein schon an das Stadtmarketing denkt und verwegen ein internationales Paul-Heyse-Zentrum entwirft - „Apartments, Lofts für Stipendiaten, Konferenzsaal, multifunktional, Wintergarten mit Bibliothek“ - rümpft die elegante Schriftstellerin Ortrud Vandervelt die Nase.

Sie hat sich mit avantgardistischen Romanen wie „Stuckaturen der Emotion“ oder „Kartause des Hirns“ einen Namen gemacht. Entsprechend findet sie das Werk Heyses einfach nur verschmockt und larmoyant: „Formvollendete Leere“. Wäre es nicht viel besser, die Steuergelder für neue Fahrradwege und Zebrastreifen zu verwenden? Oder wenn schon Kultur, dann doch lieber ein Zentrum für Thomas Mann.

Die Dritte im Bunde, die Archivarin Therese Flößer, steuert Informationen über Heyse bei. Wir erfahren, dass der liebenswürdige Dichter nicht nur ein Menschenfreund war, sondern auch sehr gut zu unserer „modernen Zivilgesellschaft“ passen würde. Denn Heyse war liberal, weltoffen, setzte sich für Juden ein. Sehr früh schon stritt er für die Frauenemanzipation und in einem Werk machte er sich sogar für den Tierschutz stark. Etwas Heiteres und Sonniges liegt über dem Leben des erklärten Italienliebhabers. Man müsste wohl kaum böse Enthüllungen oder Überraschungen fürchten. Das Werk Heyses mag angestaubt sein, der Mensch ist es nicht.

Pleschinski hat einen Roman für Bildungsbürger geschrieben, es ist ein geistreicher Parcours durch die Kulturgeschichte Münchens, aber auch eine Reflexion über Ruhm, Nachleben und Vergänglichkeit. Ob Paul Heyse eine Wiederentdeckung wert ist? Vielleicht.

Amüsant sind in jedem Fall die mit Ironie, Esprit und spitzfindigen Seitenhieben geführten Dialoge zwischen den etwas skurrilen Protagonisten (auch ein Heyse-Experte und sein chinesischer Ehemann gehören dazu). Sie streiten keineswegs nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zumutungen der Gegenwart. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Frage, was einmal den Nachruhm unserer so schnelllebigen Epoche ausmachen wird. Wie rasch verblassen wohl die Heyses unserer Zeit?

Hans Pleschinski: Am Götterbaum, C.H. Beck Verlag, München, 280 Seiten, 23,00 Euro, ISBN 978-3-406-76631-2.