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Debütroman Annette Hess schreibt über deutsche Schuld

Drehbücher hat Annette Hess schon viele geschrieben - und nun ihren ersten Roman. Sie nimmt sich darin gleich ein Thema von Gewicht vor: das Verdrängen des Holocausts und den ersten Auschwitz-Prozess von 1963. Und das alles erzählt am Beispiel einer Frau, die Eva heißt.

Von Andreas Heimann, dpa 30.10.2018, 13:36
Annette Hess hat schon viele Drehbücher geschrieben - und nun ihren ersten Roman. Foto: Britta Pedersen
Annette Hess hat schon viele Drehbücher geschrieben - und nun ihren ersten Roman. Foto: Britta Pedersen ZB

Berlin (dpa) - Eva Bruhns muss in der Gastwirtschaft ihrer Eltern oft mit anpacken. Wenn es abends voll ist, kommt ihr Vater Ludwig am Herd in der Küche ins Rotieren und ihre Mutter Edith mit dem Servieren kaum hinterher.

Die beiden rackern sich ab, damit es wieder aufwärts geht mit der Familie im Wirtschaftswunder-Deutschland. Und Eva rackert mit. Aber die kleinbürgerliche Welt ihrer Eltern, in der es nach verschüttetem Bier und kalter Asche riecht, ist längst nicht mehr ihre. Eva hat keine Lust, einmal das "Deutsche Haus" zu übernehmen, das der ganze Lebensinhalt ihrer Eltern ist. Und nach allem, was sie über deren Geschichte herausfindet, noch viel weniger.

Eva Bruhns ist die starke Hauptfigur im ersten Roman von Annette Hess, der so heißt wie das Gasthaus von Evas Eltern. Hess hat einen Namen als Drehbuchautorin - und was für einen: Die UFA-Produktion "Ku'damm 56" wurde 2016 zum Quotenrenner und auch die Kritik war voll des Lobes über die Geschichte einer Berliner Tanzschule in den 50er Jahren. Für die Serie "Weissensee" hat Hess den Grimme-Preis bekommen. Sie kennt sich aus mit historischen Stoffen, sie ist im deutschen Fernsehen die Fachfrau dafür.

Nun also der Schritt vom Drehbuch zum Roman. "Was den Plot angeht, ist das natürlich sehr ähnlich, die Entwicklung der Geschichte und der Figuren", sagt Hess, "aber dann habe ich beim Schreiben viel mehr Möglichkeiten in der sprachlichen Ausdrucksweise, muss mir aber auch viel mehr Gedanken machen, wie erzähle ich so ein Thema."

"Deutsches Haus" spielt in den 60er Jahren in Frankfurt, zu Beginn der Auschwitz-Prozesse, bei denen nicht mehr wie in Nürnberg führende Kriegsverbrecher angeklagt waren, sondern in der Öffentlichkeit weniger bekannte Täter, die im größten Vernichtungslager der Nazis am Massenmord an den Juden beteiligt waren. Eva ist Dolmetscherin und übersetzt die Aussagen der Polnisch sprechenden KZ-Überlebenden. Und wird dabei nicht nur mit schrecklichen Details des Holocausts konfrontiert, sondern gleichzeitig mit einem Teil der deutschen Geschichte, der damals noch kaum bekannt ist, weil die Gesellschaft nichts von ihm wissen will.

Die "zweite Schuld" hat der Hamburger Schriftsteller Ralph Giordano das einmal genannt: das Verschweigen der Verbrechen gegenüber den Juden und das Davonkommenlassen der Verantwortlichen. Genau darum geht es in "Deutsches Haus". Und Eva steht stellvertretend für diejenigen, die diesen verlogenen Umgang mit der deutschen Geschichte nicht hinnehmen wollen. Am Schluss erfährt sie, dass das Verdrängen und Verleugnen Teil ihrer eigenen Familiengeschichte ist, dass ihr Vater, der rückenkranke Gemütsmensch, bei der SS war und sie als kleines Kind in Auschwitz gewohnt hat, wo er als Koch im KZ gearbeitet hat.

Einen Bezug zur eigenen Familiengeschichte gibt es für Annette Hess bei dem Thema auch: "Das Interessante ist, ich habe bis vor fünf Jahren noch immer stolz erzählt, mein Opa sei Polizist gewesen. Im Zweiten Weltkrieg war er im besetzten Polen, in Bromberg, dem heutigen Bydgoszcz", erzählt sie. "Man weiß zum Beispiel, dass in der Nähe von Bromberg die ersten Versuche mit Vergasungen in Lastwagen gemacht wurden." Sie könne ihren Großvater nicht mehr fragen und wolle ihn auch nicht anklagen. "Das ist ein blinder Fleck in meiner Familiengeschichte, den ich wahrscheinlich unbewusst mit dem Roman füllen wollte."

Annette Hess kann viel, das hat sie als Drehbuchautorin oft genug unter Beweis gestellt: Dialoge schreiben, treffende Details unterbringen, starke Frauenfiguren entwerfen, sich in vergangenen Epochen einfühlen. Davon profitiert auch ihr Debütroman. Aber "Deutsches Haus" hat auch Schwächen. Die Männerfiguren wie Evas Verlobter Jürgen zum Beispiel, der immer etwas karikaturhaft wirkt mit seiner verklemmten Sexualität und seinem neurotischen Verhältnis zu seinem Vater. Aber auch David, der jüdische Emigrant, für den Eva viel empfindet, bleibt eine merkwürdige, aber nicht vollständig überzeugende Figur - und verschwindet dann auch noch spurlos aus der Handlung.

Das Buch ist schon in 17 Länder verkauft, auch nach Israel. Auch Interesse, den Stoff zu verfilmen, gibt es bereits. Mit dem Thema hat Annette Hess einen Nerv getroffen - wieder einmal.

- Annette Hess: Deutsches Haus, Ullstein Verlag, Berlin, 365 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-550-05024-4

Der Verlag zu Annette Hess