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Hungerwinter und Frühlingserwachen im "Niemandsland"

23.04.2014, 12:42

München Ein Bild des Schreckens und der Zerstörung: 16 Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs liegt Hamburg immer noch vollkommen am Boden. Backsteingerippe säumen die Straßen, hungrige Menschen irren umher.

Verzweifelte Frauen suchen am Bahnhof nach ihren Männern, verwahrloste Trümmerkinder betteln bei den Besatzern nach Schokolade und Zigaretten.

Vor dieser Kulisse beginnt Rhidian Brook seinen neuen Roman. Im englischen Original 2013 unter dem Titel "Aftermath" ("Kriegsauswirkungen") erschienen, heißt er auf Deutsch "Niemandsland". Inspiriert von wahren Begebenheiten in seiner Familie, erzählt der Autor aus London über Feind- und Freundschaften, Vertrauensverlust und Vorurteile, verschüttete Lieben und aufblühende Hoffnung in der Stunde Null.

Es fällt gleich auf, wie detailliert Brook über den Hungerwinter 1946/47 in Hamburg Bescheid weiß so als hätte er ihn selbst miterlebt. Hat er aber nicht. Sein Vater und sein Onkel hingegen schon, und die beiden scheinen sich obwohl sie damals noch jung waren recht gut zu erinnern an die Zeit, da ihr Vater als Kommandant der britischen Militärregierung im Kreis Pinneberg (bei Hamburg) im Einsatz war, um Entnazifizierung und Wiederaufbau zu überwachen.

Gelebt haben die Brooks damals in bevorzugter Gegend: in einer konfiszierten, hochherrschaftlichen Villa. Im Roman liegt sie an der kilometerlangen Elbchaussee, irgendwo zwischen Altona und Blankenese. Ihre exakte Lage bleibt allerdings rätselhaft. Das ist wohl dem Umstand geschuldet, dass das reale Grundstück in Wedel zu finden gewesen ist, etwas außerhalb von Hamburg, wie Rhidian Brook im Gespräch der Nachrichtenagentur dpa verrät. Aus dramaturgischen Erwägungen habe er das prächtige Anwesen etwas zentrumsnaher gelegt.

Im Zuge seiner Nachforschungen hat Brook, Jahrgang 1964, das Haus 2012 zusammen mit seinem Vater aufgesucht. Weitere Details für sein Buch entnahm er alten Fotos und einem Stadtplan, den er während des Schreibens auf seinem Tisch ausgebreitet hatte. Wichtiger als all das war ihm aber etwas ganz anderes: "Die psychologische Seite des Geschehens hat mich am meisten interessiert", sagt der Schriftsteller und Drehbuchschreiber.

Was passiert, wenn ehemalige Kriegsgegner unter einem Dach zusammenleben? Genau das hat Rhidian Brooks Großvater freiwillig ausprobiert, angetrieben von Menschlichkeit. Anders als es damals bei den Besatzern gang und gäbe war, ließ er die bisherigen Bewohner der konfiszierten Villa nicht in eine Notunterkunft ausquartieren, sondern teilte sie sich mit den Deutschen. Platz genug für zwei Familien war schließlich da.

Soviel ist wahr, wie Rhidian Brook auf seiner Website beteuert und ein guter Ausgangspunkt allemal für die zeitweise thrillerhafte Handlung, die er von nun an über fast 400 Seiten entwickelt. Weder die Frau des englischen Colonels noch die Tochter des deutschen Architekten sind sonderlich begeistert von der Situation - im Gegenteil. Die Waffen schweigen zwar, doch von einem einvernehmlichen Miteinander kann keine Rede sein. Es dauert den ganzen Herbst und Winter, bis die verhärteten Fronten nicht nur in der Villa ganz langsam einreißen und Wunden zuheilen können. Ein echtes Happy End? Nein, doch wenigstens macht sich Tauwetter breit.

Rhidian Brooks Blick von außen erhellt nachfolgenden Generationen die schweren Tage einer inzwischen fast sieben Jahrzehnte zurückliegenden Vergangenheit. Sein Verdienst ist dabei der Verzicht auf nur Schwarz oder Weiß, stattdessen mannigfaltige Grautöne. Vor allem hat er es verstanden, ein Stück Nachkriegsgeschichte nachhaltiger und berührender zu vermitteln als das mancher Historiker kann.

- Rhidian Brook, Niemandsland, C. Bertelsmann Verlag, München, 380 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-57010128-5.