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Arbeiten, gehorchen, dienen: "Die Bienen"

21.10.2014, 12:08

Berlin - Die letzte Biene, die von sich reden machte, war die Biene Maja. Das ist allerdings schon eine Weile her.

Jetzt kommt Flora 717. Die Säuberungsbiene aus der untersten Kaste des Bienenkorbs ist die ebenso unscheinbare wie geniale Heldin aus Laline Paulls erstaunlichem Erstlingswerk "Die Bienen". Der Fantasy-Roman der jungen Britin ist allerdings beileibe keine harmlose Kinderliteratur. Es ist vielmehr eine Parabel auf eine autoritäre Gesellschaft: Untertanengeist, striktes Ständedenken und ein quasi-religiöser Fruchtbarkeitskult kennzeichnen das hier geschilderte Bienenvolk.

Doch in dieser festgefügten Welt regt sich Widerstand. Die mit außergewöhnlichen Gaben gesegnete Flora 717 emanzipiert sich und zeigt: Auch in einer feindlichen Umwelt sind Liebe und Solidarität möglich. Flora 717 ist ein Unterschichten-Kind. Sie gehört zu den verachteten Putzkolonnen des Bienenstocks. Die Hygienearbeiterinnen müssen nicht nur den Stock reinhalten, von ihnen wird auch erwartet, dass sie die Kadaver ihrer Schwestern fortschaffen. Ihr ganzes kurzes Leben steht unter der wie ein Mantra gepredigten freudlosen Devise "Arbeiten, gehorchen, dienen". Widerstand ist zwecklos, die Hygienearbeiterinnen können nicht einmal reden. Bis auf Flora.

Dass sie sprechen kann, verleiht ihr einen Sonderstatus und ungeahnte Privilegien. So darf sie einmal sogar die Bienenkönigin persönlich besuchen. Doch eines Tages legt Flora ein Ei. Jetzt hat sie ein tödliches Geheimnis, denn "nur die Königin darf sich fortpflanzen". Flora verschreibt sich ganz dem Kampf um ihr Junges.

Laline Paull beschreibt die Bienengesellschaft als archaisch-religiösen Gottesstaat, der ein bisschen an die Reiche der Pharaonen oder Inkas, ein wenig aber auch an den NS-Staat erinnert. Formeln wie "Deine Hochzeit geschehe. Dein Königreich komme", "Gesegnet sei dein Schoß" oder "Auf den Tod folgt das ewige Leben" lehnen sich eng an das Evangelium an. Wenn eine Biene stirbt oder getötet wird, dann wird sie "erlöst". In dem streng hierarchischen Ständestaat sind die "Melissen" die sakrosankten Priesterinnen, die alleinigen Zugang zur Königin haben und über die Ordnung wachen.

Die Fruchtbarkeitspolizistinnen erinnern wiederum an KZ-Aufseherinnen, rigoros bekämpfen sie jede mögliche Fehlentwicklung und Andersartigkeit: "Missbildungen sind nicht erlaubt. Missbildungen bedeuten, dass das Böse in unserem Schwarm Einzug hält." Beinahe wäre auch Flora den erbarmungslosen Inspektorinnen zum Opfer gefallen, gilt sie doch als "besonders hässliches Exemplar". Nur der Zufall rettet sie.

Wie erfahren bei Paull sehr viel über das hochkomplexe Innenleben eines Bienenstocks, niemals jedoch verfällt sie ins Dokumentarische. Ihre Sprache ist bildhaft und sehr sinnlich. Die Welt der Düfte weiß sie in tausend Varianten darzustellen. Prächtig, wie sie etwa den Protz-Auftritt der testosterongesteuerten Drohnen beschreibt, die sich in ihrer eitlen Männlichkeit von den Arbeiterinnen bedienen lassen: "Honig! Polterte eine tiefe männliche Stimme. Sofort! Und er plusterte seinen mächtigen Brustkorb, hob den Pelz auf seinem Kopf zu drei hohen Kämmen und verströmte so viel männliches Aroma, dass der Geruch ihn einhüllte wie eine Wolke." Am Ende werden sich die Arbeiterinnen in einem bestialischen Massaker an den schmarotzenden Drohnen rächen.

Laline Paulls märchenhafter Roman über Macht und Ohnmacht, den Kampf um Emanzipation und Individualität hat in der Komposition vielleicht noch einige Schwächen, ist an manchen Stellen nicht stringent genug. Doch alles in allem ist das Buch süffig zu lesen. "Die Bienen" sind ein außergewöhnliches Erstlingswerk.

- Laline Paull: Die Bienen, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 352 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-608-50147-6.