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Bücher Ein Gedanken-Buch

Am 10. Mai 1933 werden in Berlin von den Nazis Tausende Bücher ins Feuer geworfen.

Von Grit Warnat 08.05.2020, 01:01

Magdeburg l  Der Lyriker Johann Voß aus Wefensleben im Landkreis Börde erinnert mit einer Aktion an einstige Scheiterhaufen mit Werken von Philosophen, Romanautoren und Lyrikern.

Eine historische Rundfunkaufnahme ist erhalten und man kann hören, wie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz von Berlin der jubelnden Menge entgegenbrüllt: „Übergebt alles Undeutsche dem Feuer.“ Da wurde das „undeutsche Schrifttum“ in die Flammen geworfen, darunter Werke von Heinrich Mann, Erich Kästner, Bertolt Brecht, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Sigmund Freud, Anna Seghers, Alfred Kerr. Die Nationalsozialisten hatten sogenannte Schwarze Listen erstellt und Bibliotheken gezielt „gesäubert“. Beteiligt: Studenten, Rektoren, Professoren, einfache Bürger. In Amerika schrieb eine Zeitung vom „Holocaust of Books“.

Nun ist in diesem Jahr kein runder Jahrestag der Bücherverbrennung, das Erinnern ist geprägt vom heutigen 75. Jahrestag des Kriegsendes. Doch Johann Voß, der schreibenden Zunft zugehörend, will den 10. Mai nicht einfach ohne Erinnerung verstreichen lassen. „Es ist mir ganz wichtig, ein Zeichen zu setzen“, sagt er. Seine Idee: das Gegenteil der Büchervernichtung. „Ich will ein Buch herstellen.“ Nun hat Voß, 1951 in Ostfriesland geboren, seine Gedichte und Lieder bereits in mehreren Büchern herausgebracht. Aber bei diesem Projekt geht es ihm weniger um eigene Gedanken. „Ich will Geschichten, Tagebucheintragungen, Gedichte, historische Fotos, Zeitungsmeldungen und andere Reflexionen anderer sammeln. Daraus soll dann ein Buch mit Spiralbindung entstehen“, sagt der ehemalige Lehrer für Germanistik und Sport. Wo er am Gymnasium unterrichtete, in Helmstedt, wird er sich Sonntag von 11 bis 15 Uhr auf den Marktplatz stellen und Texte im Din-A4-Format entgegennehmen. „Jede und jeder kann mitmachen, die Themen sind frei, jede Vision kann in Worte gefasst werden“, sagt er. Auch vor Ort könnten ganz spontan Gedanken fließen. Papier und Schreibwerkzeug halte er bereit. Er wolle auch einen kleinen Tisch stellen mit Büchern der einst verfemten Autoren. Bei den Behörden sei seine Aktion angemeldet.

Voß ist seit Jahren aktiv, wenn es ums Erinnern geht und, weil Antisemistismus in unserer Gesellschaft zunimmt, sagt er. Der Lyriker ist geprägt von seinem Elternhaus. „Mein Vater war Hitler-Soldat und dann in russischer Kriegsgefangenschaft.“ Erst 1949 sei er mit schrecklichen Erlebnissen in die Heimat zurückkehrt. Die besten zehn Jahre seines Lebens habe man ihm genommen, habe der Vater gesagt. Seine Erzählungen von Krieg und Gefangenschaft, Tod, Entbehrungen und Krankheit seien für Voß immer präsent geblieben, hätten ihn geprägt. Im Leben, im Blick auf die Gesellschaft, im Schreiben. „Es ist mein zentrales Thema“, sagt der Wefensleber. In Halle habe er gesungen nach dem Anschlag auf die Synagoge. „Da müssen Lieder und Gedichte hin“, sagt Voß. Auch das neue Buch, das am Sonntag in vier Stunden entstehen soll, wird in keiner Schublade liegen bleiben. „Ich werde daraus lesen. Irgendwann, wenn es wieder möglich sein wird.“ Am besten an einem Ort, wo in den Maiwochen des Jahres 1933 freie Gedanken in Flammen aufgingen.

Das erste Blatt ist fertig, sagt er, ein eigenes Gedicht, „Ein neues Buch“ ist es überschrieben: „geschrieben ganz im glanz / der horizonte vor tag und / nacht gemacht aus hoffnung / gram und silbentanz / ein wortgefecht ein weltgeflecht / für sinn und sein und / licht und lust und / alle tage aufgeschlagen / für mein und dein für / meer und wind und / ungestellte fragen“.