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Literaturwochen Exil und fremde Heimat

Das Magdeburger Literaturhaus lädt zu Literaturwochen mit Ausstellungen, Lesungen und Gesprächen.

Von Grit Warnat 22.08.2015, 01:01

Magdeburg l Herta Müller wird nicht in Magdeburg lesen. Sie war geladen und sagte ab. Die Literaturnobelpreisträgerin hätte nicht nur wegen ihrer Persönlichkeit und ihrer großartigen Sprache das Magdeburger Programm außerordentlich bereichert. Herta Müllers Biografie prägt ihr literarisches Werk: Gelebt unter rumänischer Diktatur und Repressionen, ausgereist, neue Heimat in Deutschland gesucht. „Sie hätte unserem Thema gutgetan“, sagt Wolfgang Domhardt, Vorsitzender vom Literaturhaus Magdeburg e.V.

Doch auch ohne die preisgekrönte Literatin setzt das Literaturhaus in Zusammenarbeit mit vielen Magdeburger Kooperationspartnern das Thema „Exil – Fremde Heimat“ bemerkenswert um. Die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck konnte gewonnen werden, die aus ihrem neuen Buch „Gehen, ging, gegangen“ lesen wird. Erpenbeck schreibt über die Begegnungen mit Flüchtlingen aus Afrika, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind.

Die in Berlin lebende Autorin steht seit dieser Woche auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis, ebenso Vladimir Vertlib, ein in Österreich lebender Autor mit russisch-jüdischer Abstammung, der auf Initiative der Synagogengemeinde nach Magdeburg reisen wird. Vertlib hat immer wieder Erfahrungen mit seinem Migrantenleben und Fragen rund um die jüdische Identität literarisch verarbeitet.

Vertlib („Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur“) emigrierte 1971 mit seiner Familie aus Russland. Die Suche nach neuer Heimat, nach Ankommen und Nichtankommen in der Fremde zieht sich als roter Faden durch das Programm und schließt gegenwärtige wie historische Aspekte ein. Erika Mann (1905–1969) zum Beispiel emigrierte 1933 in die Schweiz. Außerhalb Nazi-Deutschlands führte sie das politische Kabarett „Die Pfeffermühle“ fort. Ros­witha Dasch und Ulrich Raue geben mit ihrem Programm „Vorsicht! Scharf!“ einen Einblick in jene Zeit und das Leben Erika Manns.

Ein Abend ist Sarah Kirsch (1935–2013) gewidmet, der großen deutschen Lyrikerin, die sich in der DDR gegen künstlerische Vereinnahmung wehrte und das Land 1977 verließ. Eine Begegnung wird es auch mit dem chilenischen Schriftsteller Pablo Neruda (1904–1973) und seinem Gedichtzyklus „Canto General“ geben. Mikis Theodorakis hatte Teile des Werkes vertont, das zum großen Teil im Exil entstanden war. Musik und Texte lässt das Trio Quijote aufleben.

Und dann der bedeutende Chronist Victor Klemperer (1881–1960), dessen bisher nicht veröffentlichtes Revolutionstagebuch 1919 in diesem Jahr im Aufbau Verlag erschienen ist. Schauspieler Burghart Klaußner hat es als Hörbuch eingelesen und wird es – ob der Fülle seiner terminlichen Verpflichtungen – im November im Literaturhaus vorstellen.

Die traditionelle Ausstellung zu den Literaturwochen (Eröffnung 2. September) widmet sich Schutzsuchenden während der deutschen Okkupation in Südfrankreich. Ute Berger vom Literaturhaus spricht von einer sehr bemerkenswerten Hilfe der Einwohner gegenüber den Flüchtlingen und politischen Emigranten.

Von Exil kann bei Peter Wawerzinek keine Rede sein. Ganz freiwillig und mit Freude lebte, beobachtete, schrieb er in Magdeburg. Er war ein halbes Jahr Stadtschreiber und hat dafür seine Lebensstadt Berlin verlassen. Der Bachmann-Preisträger wird mit seiner Abschiedslesung am 30. September den Schlusspunkt der vierwöchigen Literaturwochen setzen und sicherlich verraten, ob er Magdeburg als zweite Heimat für sich entdeckt hat.