Joachim Lottmann ätzt wieder

Berlin - Im letzten Roman ging es um Koks, jetzt geht es um Literatur - und um die Ehe. Nicht umsonst hat Joachim Lottmann seinen zehnten Roman "Happy End" genannt. Der Schriftsteller Johannes Lohmer (zweifellos Lottmann selbst) hat endlich die perfekte Frau gefunden, nur hat er vor lauter Verliebtheit eine Schreibblockade.
Trotzdem schreibt er - über seine Blockade, seine Frau, Berlin, Wien und, ganz wichtig, die Literaturszene. Deren Mechanismen findet er ziemlich ätzend, die meisten Autoren und ihren Stil sowieso. Das sagt er unverblümt. Und das ist sehr witzig.
Eigentlich hat Protagonist Lohmer viel zu tun: Er muss einen Preisträger für den Literaturpreis finden, der ihm einst verliehen wurde - von Sibylle Berg. Das Besondere am Wolfgang-Koeppen-Preis ist nämlich, dass Autoren ihn sich gegenseitig verleihen. Es muss also ein würdiger Nachfolger her. Am Ende wird es die fiktive Sara-Rebecka Werkmüller - ein Name so verstaubt wie ihre Schreibe.
Kommt einem bekannt vor? Genau: Lottmann (58), der immer wieder Erfinder der Popliteratur genannt wird, bekam den Preis 2010 von: Sibylle Berg. Und verlieh ihn 2012 an: Anna Katharina Hahn.
Die Preisträgerin schreibe "präzise, unideologisch, gegenwärtig, also Stuttgart 21 kommt vor, schwache Vätermänner, die aber liebevoll zu ihren Kindern sind", sagte Lottmann damals in seiner Begründung wie sein Protagonist heute. Der findet das Buch unerträglich und wählte Werkmüller nur auf den Rat seiner Frau hin. Mit den Figuren und dem Stil kann er nichts anfangen: "Die Autorin stand mit dem Notizbüchlein vor der Tür und malte sie in Worten ab."
Wie auch immer Hahn das finden mag - sie ist freilich nicht die einzige, die sich gekränkt fühlen könnte. Auch Sibylle Berg kommt nicht gerade gut weg, Lob von der deutsch-schweizerischen Schriftstellerin findet sich trotzdem auf dem Klappentext. Berichte, wonach sie den Kontakt zu Lottmann abgebrochen habe, wurden dementiert - von Lottmann.
Zu dem gebürtigen Hamburger, Wahl-Wiener und "Spiegel"-Autor gehört, dass er mit seinem Image als Enfant terrible spielt und seine Feindschaften nicht verschweigt. Auf Büchner-Preisträger Rainald Goetz - der den 58-Jährigen einmal "ohne Grund einfach böse" nannte - angesprochen, sagte Lottmann jüngst, Goetz lebe "krankhaft zurückgezogen" und werde "von Wutanfällen durchgeschüttelt". Das "krankhaft" nahm er dann zurück.
Größenwahn scheint Lottmanns Pose. Sein letztes Buch "Endlich Kokain" kündigte er als "Hit des Jahres 2014" an, er trägt Shirts mit der Aufschrift "Erfolgsmensch", listet in seinem taz-Blog "Auf der Borderline nachts um halb eins" jede Kritik penibel auf und findet es schlimm, dass bei seinem Verlag kein Foto von ihm an der Wand hängt.
Ein unsympathischer Egomane also? Eher ein großer Satiriker. Privates und Fiktion sind in "Happy End" brillant vermischt. Lottmann gelingt außerdem das Kunststück, auf 350 Seiten herumzureden - hier eine Erinnerung, da ein Abendessen, zwischendurch mal ein Artikel eingestreut - ohne zu langweilen. Stattdessen zieht sich durch jede Situation bissiger und scharfsinniger Humor.
Die Ehe-Satire jedenfalls besticht. Was permanent als perfekt beschrieben wird, ist natürlich auch nichts anderes als die Vorhölle. Über Lohmers "liebe Frau" Elisabeth heißt es: "Immer wenn sie sagt, sie kocht jetzt etwas, brät sie es nur." Oder: "Dass ich ohne jede Vorankündigung die gemeinsame Wohnung verlassen habe, ist die denkbar größte narzisstische Kränkung für sie."
Auch Lottmann lebt seit einiger Zeit neu mit einer Frau zusammen, wie Medien wissen wollen. Allerdings nicht mit der aus dem Roman, wie Lottmann der "taz" sagte: "Die Sissi hab ich so konstruiert, dass sie in allen Punkten das gewollte Gegenteil meiner Frau verkörpert." Das macht Sinn, schließlich befindet Lohmer: "Zu zweit mit einer Frau zu sein, auf Dauer, ohne Aus- oder Fluchtweg - die Hölle."