Princeton 66: Gipfeltreffen deutscher Autoren in Amerika
Der Nachwuchsautor Peter Handke beschimpft seine arrivierten Kollegen mit ihren läppischen und idiotischen Arbeiten. Günter Grass versucht gleichzeitig seinen Blechtrommel-Ruhm im Ausland zu festigen. In seinem Buch Princeton 66 hält Jörg Magenau eine unterhaltsame Rückschau auf einen Ausflug der legendären Gruppe 47.
Berlin (dpa) - Handke ereignete sich, dort, wo Thomas Mann die deutschen Exilautoren um sich scharte und als Lecturer in the Humanities an der renommierten Universität lehrte und der Physiker Albert Einstein auf der Suche nach Weltformel war.
An der renommierten amerikanischen Princeton-University rechnete ein damaliger literarischer Jungspund namens Peter Handke mit der seiner Meinung nach läppischen und idiotischen Arbeit vieler seiner Kollegen ab. Princeton 66 - Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47 heißt das Buch von Jörg Magenau über den mittlerweile legendären Ausflug der westdeutschen Autorenvereinigung Gruppe 47, die sich nach ihrem Gründungsjahr benannt hatte, in die amerikanische Universitätsstadt.
Das große Auswärtsspiel der deutschsprachigen Literatur in Amerika, heißt es in der Verlagsankündigung. Es war ein Jahr vor dem dann schon von der Studentenrebellion geprägten Treffen in der fränkischen Pulvermühle - ein Höhepunkt und der Anfang vom Ende der Gruppe 47 nach 20 Jahren.
1966 reisten etwa 80 Autoren, meist Männer, die ihre Gattinnen mitbringen durften, sowie Verleger und Kritiker nach Princeton, darunter neben Handke auch Günter Grass, Siegfried Lenz, Peter Weiss, Uwe Johnson, Erich Fried, Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki. Heinrich Böll und Martin Walser blieben zu Hause und hatten ein Treffen im nächstbesten Bundeskaff vorgeschlagen, wie es bisher Gruppen-Tradition gewesen war. DDR-Autoren waren auch eingeladen, erhielten aber keine Ausreisevisa. Die Autoren sollten vom ostdeutschen Schriftstellerverband benannt werden, was der Gruppenchef Hans-Werner Richter ablehnte, da eine Teilnahme an den Gruppentagungen immer nur auf seine persönliche Einladung möglich war.
Die Anreise nach Princeton erfolgte per Flugzeug oder mit dem Schiff. Einige Verleger hatten davor gewarnt, alle Autoren für einen einzigen Flug zu buchen, das erschien ihnen zu riskant, wie Magenau schreibt. Im Unglücksfall hätte der eine oder andere Verlag über Nacht ohne seine umsatzstärksten Autoren dagestanden. Wie sich zeigte, war allerdings auch die Schiffspassage nicht ohne Risiko. Grass geriet mit seinem Dampfer Michelangelo in einen heftigen Sturm, der auf dem Schiff drei Todesopfer forderte.
Unter den Autoren hatte es Vorbehalte gegeben, in ausgerechnet jenes Land einen Klassenausflug zu unternehmen, das einen umstrittenen Krieg in Vietnam führte, zu deren Gegnern auch viele Schriftsteller gehörten. Und obwohl Richter seinen Gastgebern von der Princeton-University (die das Treffen neben der Ford-Foundation finanzierte) zugesichert hatte, dass die Gäste sich in den USA nicht öffentlich politisch äußern würden, ließ es sich ein Autor wie Peter Weiss nicht nehmen, der New York Times ein entsprechendes Interview zu geben. Hauptsächlich ging es aber, wie es bei der Gruppe 47 üblich war, um die von den Autoren selbst vorgetragenen und zur Diskussion gestellten eigenen Werke.
Diese mehrtägige Autoren-Performance gibt Magenau chronologisch mit historischen Einschüben über die Geschichte der Gruppe 47 in launigem Ton wieder. Das liest sich wie ein Augenzeugenbericht. Dabei hat Magenau schwere Archivarbeit geleistet, wobei er sich auf alle verfügbaren Quellen gestützt hat, darunter das in der Berliner Akademie der Künste befindliche Archiv von Gruppenchef Richter und die von der Princeton University ins Netz gestellten Tonbandprotokolle der Tagung von 1966. Ihm gelingt dabei eine Mischung aus Reisebericht, Kulturhistorie und jüngerer deutscher Literaturgeschichte.
Magenau beleuchtet oft nicht ohne Ironie die Auftritte der Edelfedern samt Eitelkeiten und manchen Gehässigkeiten unter den Zuhörern, die ja gleichzeitig die Kritiker des Gehörten waren. Etwas befremdlich lesen sich dabei allerdings manche eher entbehrlichen Beschreibungen. Handke, den manche in Princton das Mädchen nannten, attestiert Magenau eine katholische Internatsverklemmtheit und die schmächtige Statur eines Kleiderbügels, Walter Höllerer (vom Literarischen Colloquium am Wannsee) das Aussehen einer getrockneten Eule. Oder wenn Magenau vom gut geölten Joachim Kaiser und dem immer breiter werdenden Erich Fried schreibt. Entbehrlich.
Abgesehen von seinem eher unscheinbaren Aussehen trumpfte der damals 23-jährige Handke, der bald nach Princeton mit seinem Anti-Theater-Stück Publikumsbeschimpfung die Theaterszene und -zuschauer verstören sollte, in der Gruppe 47 mit seiner Tirade gegen die westdeutsche Gegenwartsliteratur auf. Handke ereignete sich, schreibt Magenau dazu im Versuch, das außergewöhnliche Geschehen damals auf den Punkt zu bringen. Handkes Auftreten sei der Beweis dafür gewesen, dass es durchaus möglich ist, sowohl schüchtern als auch - und zwar gleichzeitig - hochnäsig zu sein. Es war im Grunde eine vorweggenommene Publikumsbeschimpfung mit Schriftstellerkollegen als Adressaten.
Ich bemerke, daß in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht, legte der Newcomer los und monierte, dass eine ganz, ganz unschöpferische Periode in der deutschen Literatur angebrochen sei. Diese Prosa könne man ebenso gut aus einem Lexikon abschreiben, das sei eine völlig läppische und idiotische Literatur. Magenau versucht sich an dieser Stelle als Amateurpsychologe, wenn er meint, Handkes Aggression sei zugleich eine Autoaggression gewesen, also auch gegen sich selbst gerichtet, und vielleicht eine verborgene Einsicht ins eigene Ungenügen. Aber die Ausfälle nahm damals niemand so richtig ernst, es kam sogar Heiterkeit im Saale auf. Grass spürte nach Ansicht Magenaus, dass ihm da mit dem lautstarken Grünschnabel eine neue Konkurrenz erwuchs, im Bereich der Publicity und im Selbstvermarktungsgeschick.
Nach Magenaus Einschätzung war die Literatengruppe, die sich einmal als Werkstatt und Kollegengespräch verstanden habe, in eine PR-Maschine umgeschlagen, ein Instrument des Literaturbetriebs. Zur nächsten - und regulären letzten - Tagung der Gruppe 47 in der fränkischen Pulvermühle 1967 kam Handke nicht mehr. Ihre Auflösung hatte begonnen, die Gruppe 47 hatte ihre Aufgabe im Nachkriegs(west)deutschland erfüllt. Eine neue gesellschaftspolitische Zeitrechnung sollte im allgemeinen Sprachgebrauch bald folgen - die 68er und nach 68.
- Jörg Magenau: Princeton 66 - Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 223 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-608-94902-5.