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Thriller Juli Zehs Blick in die Zukunft

Juli Zehs Gesellschaftsroman „Unterleuten“ hat sich mehr als 300.000 Mal verkauft. Jetzt legt die Autorin mit „Leere Herzen“ nach.

Von Birgit Zimmermann 17.11.2017, 23:01

Leipzig (dpa) l Sie fängt ganz harmlos an, die Zukunft in Juli Zehs neuem Roman „Leere Herzen“. Zwei Familien, ein Abendessen, Sushi und chilenischer Wein. Dass das Ganze in Braunschweig spielt, scheint erst erstaunlich bis lustig. Doch die Erklärung, warum die Hauptfigur Britta einst ein Betonwürfel-Haus in Braunschweig kaufte, macht ziemlich schnell klar, dass hier mit Idylle nicht zu rechnen ist: „Dem 21. Jahrhundert entsprechen Mittelstädte, mittelgroß, mittelwichtig und bis ins kleinste Teil dem Pragmatismus gehorchend.“ Willkommen im Jahr 2025.

Das Deutschland in „Leere Herzen“ ist dem heutigen nicht einmal zehn Jahre voraus. Angela Merkel ist nicht mehr Bundeskanzlerin. „Merkel muss weg“-Rufer erzwangen Neuwahlen und brachten die Besorgten Bürger (BBB) ans Steuer. Die kümmern sich eifrig darum, die Macht der Parlamente und die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden. „Effizienzpakete“ heißen die Maßnahmen – und die gut verdienende Britta hat leider keine Zeit, sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen. Britta, Co-Chefin einer Psychotherapie-Praxis, hat ganz andere Sorgen.

Juli Zeh (43) lässt sich Zeit, um den Leser in die Machenschaften von Britta und ihrem Kompagnon Babak einzuführen. Auch da geht es harmlos los. Die Psychotherapie-Praxis „Die Brücke“ kümmert sich um potenzielle Selbstmörder, Heilungsquote über 90 Prozent.

So weit, so gar nicht gut. Denn Britta und Babak interessieren in Wirklichkeit die paar Prozent, die sich auch am Ende des Therapieprogramms noch von einer Brücke stürzen wollen. Mit denen lässt sich ein dickes Geschäft machen. Es ist die simple Geschichte von Angebot und Nachfrage. Terrormilizen oder militante Öko-Aktivisten brauchen Selbstmordattentäter. Britta und Babak können liefern.

Der Verlag Luchterhand hat „Leere Herzen“ als Polit- und Psychothriller angekündigt. Tatsächlich gelingt es Juli Zeh im ersten Teil des Buches, ordentlich Spannung aufzubauen. Das stille Geschäft der „Brücke“ mit dem Tod wird plötzlich bedroht. Von wem und warum – das ist die Frage, um die sich „Leere Herzen“ dreht.

Psychologisch ist vor allem die Figur der Britta Söldner ausgeleuchtet. Sie ist die Frau ohne Skrupel, ohne Träume und ohne Überzeugungen. Dagegen bleibt jedoch schon Babak, der schwule Nerd mit Migrationshintergrund, seltsam blass. Und auch die anderen Figuren in „Leere Herzen“ bleiben eher diffus. Wer zuvor „Unterleuten“ gelesen hat, den großen Gesellschaftsroman, in dem Juli Zeh virtuos eine ganze Dorfgesellschaft implodieren lässt, der bleibt jetzt etwas enttäuscht zurück.

Trotzdem ist „Leere Herzen" ein typisches Juli-Zeh-Buch. Die Szenerie ist fein beobachtet und so gut beschrieben, dass man die unscheinbaren Büroräume der „Brücke“ in einer gesichtslosen Braunschweiger Passage direkt vor sicht sieht. Der Thriller ist außerdem gespickt mit klugen Gedanken zu den gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Und er kreist um ein Problem, das praktisch jeden angeht: Bleiben wirklich nur noch acht Jahre Zeit, um ein Deutschland zu verhindern, in dem bloß noch ein paar Träumer die Einzigen ohne leere Herzen sind?

Juli Zeh: Leere Herzen. Luchterhand Verlag, München, 352 Seiten, 20 Euro.