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Ein Sachbuch Ungleiche Dietrich-Schwestern: "Fesche Lola, brave Liesel"

"Liesel ist ein entsetzlicher Tugendmoppel", schreibt Marlene Dietrich über ihre ältere Schwester Elisabeth. Ein neues Buch porträtiert das gegensätzliche Geschwisterpaar.

Von Sibylle Peine, dpa 17.10.2017, 10:01

Berlin (dpa) - Die eine war ein mondäner Weltstar, ein männermordender blonder Vamp, die andere ein pummeliges, biederes Hausmütterchen unter der Fuchtel eines autoritären Ehemannes.

Marlene Dietrich und ihre zwei Jahre ältere Schwester Elisabeth hätten unterschiedlicher kaum sein können. Zu diesem frappierenden Gegensatz kamen weitere Auffälligkeiten hinzu, die neugierig machen auf dieses so widersprüchliche Schwesternpaar.

Marlene Dietrich war bekanntermaßen eine erklärte Gegnerin Nazi-Deutschlands. Sie wurde US-Amerikanerin und trat im Krieg vor amerikanischen Soldaten auf, um deren Moral zu stärken. Ihre Schwester Elisabeth dagegen lebte zur gleichen Zeit in Bergen-Belsen an der Seite ihres Mannes, der dort ein Kino für Wehrmachtssoldaten und SS-Leute betrieb. Ausgerechnet an diesem Ort, im Schatten des berüchtigten Konzentrationslagers, sahen sich die Schwestern nach dem Krieg wieder, und Marlene musste sich fragen: Welche Rolle hatte ihre Schwester gespielt? Die Geschichte klingt spannend und scheint sich für eine Spurensuche geradezu anzubieten.

Doch Heinrich Thies' Sachbuch über die Dietrich-Schwestern "Fesche Lola, brave Liesel" ist leider eine Enttäuschung. Und zwar deshalb: Marlenes Schwester Elisabeth, genannt Liesel, ist einfach eine zu fade Figur, um damit ein Buch zu füllen. Nicht zufällig besteht deshalb die Hälfte des Werks aus Marlenes Geschichte, die allerdings sattsam bekannt ist. Bei der Schwester dagegen tun sich, wie der Autor selbst zugibt, große Lücken auf, die Thies leider mit romanhaften Passagen füllt.

Die Begegnung der Schwestern in Bergen-Belsen unterfüttert er immerhin mit erhalten gebliebenen Originalbriefen eines britischen Militärs. Eine weitere wesentliche Quelle bildet ein Film-Interview, das Liesels Sohn Hans-Georg Will Jahrzehnte nach dem Tod der Mutter gab und in dem er sie als "rührend, hochgebildete, aber manchmal auch etwas hilflose Frau" charakterisierte.

In ihrem Jugendtagebuch erwähnt Marlene hin und wieder ihre Schwester. So schreibt sie einmal: "Liesel ist ein entsetzlicher Tugendmoppel. Sie geht abends nie über die Cavalleriestraße, aus Angst, man könnte sie bummeln sehen." Fest steht, dass die Ältere schon frühzeitig im Schatten der von der Mutter bevorzugten jüngeren Schwester stand. Nicht nur war sie äußerlich weniger attraktiv, sie war auch nicht so musikalisch und so extrovertiert.

Dabei hatte Liesel durchaus ihre Qualitäten. Sie war viel gebildeter als Marlene, vor allem sehr belesen. Sie war mit Leib und Seele Lehrerin, doch diesen Beruf gab sie mit der Heirat auf. Ihre Ehe mit dem Theatermanager Georg Hugo Will verlief unglücklich und endete nach dem Krieg mit der Trennung. Will war der typische Opportunist.

Eigentlich distanziert gegenüber den Nazis, biederte er sich um des beruflichen Vorteils willen bei ihnen an. Man belohnte ihn mit der Leitung des Truppenkinos in Bergen-Belsen. Nach dem Krieg spielte sich Will bei den Engländern als Anti-Nazi auf. Natürlich war er kein SS-Scherge gewesen. Aber er und seine Frau waren auch keine Opfer, wie es Marlene anfangs gedacht und erzählt hatte. Ihre Tochter Maria Riva regte sich über diese Geschichtsklitterung auf, als sie der putzmunteren Tante begegnete: "Dieser Frau war nichts geschehen, hier gab es keine KZ-Leiche, kein überlebendes Gerippe, das noch atmete. Welches verlogene Drehbuch hatte meine Mutter nun wieder geschrieben, um die Wahrheit zu verstecken."

Wie viel haben Elisabeth Will und ihr Mann von den ungeheuerlichen Verbrechen im KZ Bergen-Belsen gewusst? Mangels Belegen fiktionalisiert der Autor. Elisabeth zeigt sich betroffen, als ein Offizier sowjetische Gefangene abfällig als "Vieh" bezeichnet: "Liesel erschauderte. Gern hätte sie dem Offizier mit dem eisgrauen Bart widersprochen, aber Georgs Blick signalisierte ihr, dass sie ihre Entgegnung eher für sich behielt. Und so schwieg sie." Solche doch problematischen romanhaften Einschübe gibt es zuhauf.

Marlene unterstützte Liesel finanziell, verlangte dafür aber Stillschweigen, keine Interviews. Sie selbst erwähnte die unscheinbare Schwester kaum. Deren Ende war tragisch. Nach vielen Jahren in der Psychiatrie starb Elisabeth 1973 bei einem Wohnungsbrand.

- Heinrich Thies: Fesche Lola, brave Liesel. Marlene Dietrich und ihre verleugnete Schwester, Hoffmann und Campe, Hamburg, 416 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-455-00161-7.

Fesche Lola, brave Liesel