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„Die Mutter der Erfindung“ Von „Weiberwagen“ und peinlichen Rollkoffern

Ob Einkaufswagen oder E-Autos: Ein neues Sachbuch zeigt, wie viele nützliche Erfindungen zunächst am falschen Stolz der Männer scheiterten.

Von Sibylle Peine, dpa Aktualisiert: 11.07.2022, 14:23
Cover von Katrine Marçals "Die Mutter der Erfindung. Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden".
Cover von Katrine Marçals "Die Mutter der Erfindung. Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden". Rowohlt Verlag/dpa

Berlin - Bereits vor 120 Jahren schien es so, als gehörten Elektroautos die Zukunft. Kein Wunder, sie waren sauber, leise und relativ leicht zu bedienen. Benziner dagegen mussten noch umständlich mit einer schweren Handkurbel gestartet werden.

Weil die E-Autos ohne das lästige Kurbeln auskamen, waren sie bei Frauen besonders beliebt. Aber genau das - man glaubt es kaum - besiegelte auch ihr vorläufiges Ende.

Denn in dem Moment, als Elektroautos erst einmal als „Weiberwagen“ abgestempelt waren und man sie mit allerlei Schnickschnack wie Blumenvasen und plüschigen Polstersitzen auf feminin getrimmt hatte, verloren sie für männliche Käufer ihren Reiz. Ein Versuch von Detroit Electric, ein elektrisches Männermodell auf den Markt zu bringen, floppte 1910 spektakulär. Das war es dann erst einmal für die nächsten 100 Jahre mit dem Elektroauto. Erst Elon Musk machte es Männern wieder schmackhaft.

Die Geschichte des Elektroautos ist nur ein besonders prägnantes Beispiel dafür, wie gute Ideen scheiterten oder erst verspätet realisiert wurden, weil sie gegen überkommene Vorstellungen von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit verstießen. In ihrem Buch „Die Mutter der Erfindung“ bietet die Bestsellerautorin Katrine Marçal in dieser Hinsicht einen erfrischend neuen Blick auf die Geschichte von Innovationen, die in der Regel als die Geschichte großer erfindungsreicher Männer geschrieben wird und die Rolle der Frauen ausblendet.

Wieso kam der Rollkoffer so spät in Mode?

Das Buch gibt auch Antworten auf Fragen, die sich viele von uns schon lange stellen. Zum Beispiel diese: Warum eigentlich mussten sich ganze Generationen von Reisenden mit schweren Koffern auf Bahnsteigen oder in Flughäfen herumplagen, bevor jemand mal den Rollkoffer erfand? Schließlich existiert das Rad doch bereits seit fünf Jahrtausenden. Die Antwort, man ahnt es, geht wieder in dieselbe Richtung. Die Idee zum Rollkoffer war schon da, wurde aber zunächst verspottet. Die Herren der Schöpfung fanden das praktische Gefährt nämlich unter ihrer Würde. Ein solch weibisches Ding weckte ja Zweifel an ihrer Muskelkraft!

Dem Erfinder Allan May jedenfalls gelang es deshalb nicht, seine neuartige Idee eines rollenden Koffers zu verkaufen. So dauerte es noch Jahrzehnte, bis der Rollkoffer Akzeptanz fand. Erst 1972 meldete der Amerikaner Bernard Sadow ihn als Patent an. Sein Rollkoffer wurde allerdings noch an einem Band gezogen und die Rollen befanden sich auf der Längsseite des Koffers. Zum endgültigen Durchbruch verhalfen dem Rollkoffer übrigens Frauen. Wenn die eleganten Stewardessen der Airlines ihre schicken Trolleys mit leichter Hand durch die Terminals zogen, war das die allerfeinste Werbung!

97 Prozent des Wagniskapitals geht an Männer

Aus ganz ähnlichen Gründen scheiterte übrigens anfangs die Idee von Einkaufswagen in Lebensmittelmärkten. Als der Kaufmann Sylvan Goldman in den 1930er Jahren die ersten Einkaufswagen für seine Filialen entwickelte, um Hausfrauen das Einkaufen zu erleichtern, empfanden die Männer das als Affront. Traute man ihnen etwa nicht mehr zu, einfache Einkaufskörbe für ihre Frauen zu tragen? Dass manche für Frauen sehr nützliche Erfindungen so lange brauchten, um sich durchzusetzen, liegt natürlich vor allem an der fehlenden weiblichen Finanzkraft, mit der ihre Interessen hätten durchgesetzt werden können. Diesem Aspekt widmet die Autorin ein eigenes Kapitel.

Noch heute, und das ist wirklich niederschmetternd, wird 97 Prozent des Wagniskapitals an Männer vergeben. Geldgeber haben nach wie vor wenig Vertrauen in Gründerinnen. Deshalb zieht so manche geniale Erfinderin den Kürzeren. Aina Wifalk zum Beispiel hätte eigentlich Millionärin werden müssen. Denn die Schwedin gilt als Erfinderin des Rollators. Doch wer, fragte sie selbst zurecht, investiert schon in eine „behinderte Frau zwischen all diesen Kerlen“? Und so profitierte von ihrer bahnbrechenden Erfindung nicht sie, sondern ein Unternehmen.

In der zweiten Hälfte ihres Werks biegt die Autorin leider in zu viele Nebenspuren ab, die vom spannenden Kernthema ablenken. Das ist schade, denn eigentlich ist ihr Buch ein starkes und überzeugendes Manifest für die längst überfällige Beteiligung von Frauen an Innovationen.

Katrine Marçal: Die Mutter der Erfindung. Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden, Rowohlt Verlag, Berlin, 304 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-7371-0142-4