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Szenische Collage aus Werken Alexander Kluges in Halberstadt uraufgeführt Clownsspiel mit Bombeninferno

Sebastian Fust extrahierte aus einer Flut von Texten, Reden, Chroniken
und Filmen des universellen Denkers Kluge die szenische Collage
"Alexander Kluge - Hoffnung und Widerstand". Sie erlebte am Donnerstag
in der Kammerbühne Halberstadt ihre deutschlandweit beachtete
Uraufführung.

Von Hans Walter 16.11.2013, 01:07

Halberstadt. Bis zum Ende der vergangenen Spielzeit war Fust Schauspieldramaturg am Nordharzer Städtebundtheater. In diesen Jahren rückte er mit einer Reihe von Veranstaltungen einen der international renommiertesten Filmemacher und -theoretiker, Publizisten, Juristen und Philosophen Deutschlands, den 81-jährigen Dr. Alexander Kluge, in den Fokus des Interesses.

Mit "Alexander Kluge - Hoffnung und Widerstand" gelang Fust ein großartiges, von Kluge autorisiertes Stück. Es setzt mit dem Bombeninferno an - ganz kurz vor dem Kriegsende 1945. Mit Schilderungen des sonntäglichen "Alltags". Friedhofsgärtner Bischoff karrt Särge durch die Stadt. Auf dem Turm der Martinikirche zwei Luftschutzbedienstete, zwei Melderinnen. Im "Capitol" wird der Spielfilm "Heimkehr" mit Paula Wessely und Attila Hörbiger abgebrochen, als die Bomber um zehn Uhr anfliegen. Fächerförmig.

Über der Victoria-Luisen-Schule verteilt sich in 6000 Metern Höhe der Pulk wie die Finger einer Hand und klickt seine Bomben aus. Die Luftminen zum Abdecken der Dächer. Die Phosphor-Brandbomben, die die Häuser vom Dach bis in die Keller in Brand setzen. "Die Stadt selber wird zur Waffe. Es ist die Transformation des Heims als Waffe ... Mein Keller ist mein Feind." Die Menschen verstummen ...

In diese Texte montiert Fust "Das Urvertrauen - oder die disparate Einheit von Familie und Gefühl". Biografisches über Kluges Familie. Das Zauberbuch ihrer Generationen dauernden Vermischung. Die Eltern in ihrem schwierigen Verhältnis. Die spröde, später geschiedene und wieder verheiratete Mutter. Den Geburtshelfer-Vater, der Kunst und Opern liebte und deftiges Essen. Die Kinder Alexandra und Alexander. Eine untrennbare Mischung beider.

Dazu tritt "Kosmisches". "Im Weltall braucht man keine Lesebrille" - ein Puppenspiel. Die Geburt neuen Lebens. John Cage beim Brand der Frankfurter Oper. Und immer wieder greift Fust bei Kluge das Bild vom Elefanten auf, diesem gelehrigen Koloss mit dem saften Gemüt. "Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Elefanten und ihrem ausgezeichneten Gedächtnis. Mit ihren Augen können sie in die Geschichte schauen." Das letzte Wort in einem höchst assoziativen Stück.

Die junge Regisseurin Katrin Plötner inszenierte den Abend mit den Schauspielern Barbara Fressner, Arnold Hofheinz und Gerold Ströher durchgängig als Clownsspiel. Das hat schöne Momente, wie das einprägsame Schatten- oder Puppenspiel. Musiziert wird auf Akkordeon und Klarinette. Aber andererseits fehlen Flucht- und Ruhepunkte. Und warum man Zutaten wie Georg Kreislers Lied vom brennenden Zirkus braucht oder "It\'s No Business Like Showbusiness"? Wer weiß.

Auf jeden Fall ist Kluges "Denkraum Halberstadt" in höchstem Maße sehens- und erlebenswert. Nicht nur durch die szenische Collage Fusts, sondern auch mit zwei Ausstellungen im Gleimhaus und beim John-Cage-Orgelprojekt im Burchhardi-Kloster.

Weitere Aufführungen unter anderem am 29. November und 2. Februar in Halberstadt.