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Coronavirus Die Flamme am Lodern halten

Das Magdeburger Konservatorium „Georg Philipp Telemann“ weicht für den Einzelunterricht auf digitale Möglichkeiten der Kommunikation aus.

Von Kathrin Singer 11.04.2020, 23:01

Magdeburg l Sie sei stets ordentlich gekleidet, bevor eine Onlinestunde beginne. So wie immer. Zumindest bis zur Taille. „Meine Hausschuhe sehen Sie ja nicht!“, lacht Klavierlehrerin Irina Rott. Von ihren knapp 30 Schülern haben fast alle das Angebot angenommen, sich für die ausgehbeschränkte Zeit via Internet unterrichten zu lassen.

Geplant wird wie beim analogen Unterricht. Es gibt feste Unterrichtszeiten und Stundenpläne. Irina Rott ist dann via Skype im in den Kinderzimmern zu Gast. Manche Kinder schicken ihre Eltern raus, bei anderen werden Eltern zu Kameraleuten, die Handy oder Tablet auf die Hände ihrer Kinder richten.

Irina Rott lernt viel über die Übungsbedingungen ihrer Schüler. Sie sieht, welche Instrumente genutzt werden, wie die Sitz- und Lichtverhältnisse sind, sieht Fingersätze in Großaufnahme und kann ihre Schüler, so wie immer, in der Körperhaltung korrigieren. Die wird im heimischen Kinderzimmer, anders als in den Übungsräumen des Konservatoriums, eher mal leger gesehen.

Ein Vorteil zudem: Während die Kinder sonst meist abgehetzt direkt von der Schule ins Konservatorium eilen, sind sie jetzt bei Unterrichtsbeginn bereits eingespielt, so dass die Zeit effektiver genutzt werden kann.

Große Nachteile: das Internet bricht ab, Instrumente sind unterschiedlich gestimmt, eine musikalische Begleitung am Klavier ist schlecht zu hören. Und der körperliche Kontakt, ohne den ein effektiver Instrumentalunterricht nicht möglich ist, fehlt komplett. Dennoch überwiegen in der aktuellen Situation die Vorteile: die Schüler verlieren nicht den Anschluss, und das Leben geht musikalisch mit ein wenig Normalität weiter.

So sieht es auch Stephan Schuh, der Leiter des Konservatoriums. Er ermuntert seine Kollegen, digitale Alternativen zu nutzen. „Wir wollen die Flamme einfach nicht ausgehen lassen“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass, wenn der Schalter einmal ausgestellt ist, wir so schnell wieder hochfahren können. Deswegen sollten wir den Schalter allenfalls dimmen. Und wir wollen einfach zeigen, dass Musik(machen) Labsal, Oase und Balsam für die Seele sein kann.“ Viel hängt dabei vom Engagement der Musiklehrer ab, denn, anders als allgemeinbildende Schulen kann das Konservatorium mit seinen etwa 2700 Schülern nicht von der Förderung zum Aufbau von datenschutzkonformen Kommunikationsplattformen profitieren, so dass der Unterricht über private Geräte der Mitarbeiter läuft. Viele nutzen die Einzelräume des Konservatoriums zum Einspielen von Musik.

So wie Martin Richter. Der technikaffine Lehrer hat schon vor Corona viel mit Video und Internetkommunikation gearbeitet. Der Klavierlehrer und Chorleiter spielte auch bisher gern mal Einzelstimmen ein und stellte sie seinen Schützlingen per Mail oder auf der Website zum Üben zur Verfügung. Auch jetzt schwört er eher auf asynchrone Methoden. Webbasierte Technik wie Skype oder Zoom sind ihm zu unzuverlässig und qualitativ nicht ausreichend. Seine Schüler erhalten Videolektionen, eingespielte Begleitungen und Erklärungen in Kombination mit Hausaufgaben. Die Schüler wiederum filmen sich selbst beim Spiel und senden ihrem Lehrer das Ergebnis, der dann anhand der Aufnahme Hinweise gibt. „Die Form ist nicht im Ansatz als Ersatz für einen realen Unterricht geeignet“, gibt er zu bedenken. „Es funktioniert nur bei Schülern, die man schon kennt.“ Und der Aufwand sei ungleich größer, die Lektionen müssten konzipiert, aufgenommen und verarbeitet werden. „Der Upload dauert ewig, der Computer glüht. Dennoch ist es besser als nichts.”

Seine 11-jährige Schülerin Diba Janshidi Rad weiß den Aufwand zu schätzen und ist von der Möglichkeit begeistert. „Wir haben Kontakt, auch via Skype, und ich kann auch telefonieren, wenn ich Fragen habe, das ist toll. Eigentlich ist es ganz normal, es ändert sich nichts beim Üben, nur dass man mehr alleine machen muss.“

Froh über die digitale Alternative ist auch Gesangsschüler Jeremie Güsten. Die Anreise zum Konservatorium falle weg, mit der Technik ist er durch sein Unistudium vertraut. Dennoch gebe es neue Plattformen zu entdecken, die bislang weniger bekannt gewesen seien. Mit seiner Gesangslehrerin Aliia Iskhakova kommuniziert er allerdings hauptsächlich via Skype. Etwas ungewohnt war für den WG-Bewohner der Online-Unterricht, weil die Zimmernachbarn auf einmal zuhören konnten. „Die Stimme ist halt ein intimes Instrument, eine private Sache, so direkt aus dem Körper.“

Auch für Aliia Iskhakova, die Skype, Zoom oder auch mal das Festnetztelefon nutzt, ist die Situation eine spannende Herausforderung: die beste Technik auswählen, schauen, welche Einstellungen zu qualitativ besseren Ergebnissen führen, Begleitungen einspielen, Online-Pläne machen. Ihre Schüler seien gefordert, weil sie im Fernunterricht selbständiger arbeiten müssten. „Es braucht Mut, ohne Begleitung zu singen, vor allem, wenn vielleicht auch noch die Familie nebenan zuhört. Aber es ist auch positiv, man muss einfach durch, und das ist als Übung sehr gut.“

Das digitale Unterrichten beschränkt sich am Konservatorium auf den Einzelunterricht, die technisch begrenzten Möglichkeiten lassen keine Ensemble- oder Stimmgruppenproben zu. Hier freut sich Stephan Schuh auf das Ende der Corona-Beschränkungen, wenn der gedimmte Schalter wieder auf volle Kraft gestellt werde.