Lyonel-Feininger-Galerie zeigt druckgrafisches Werk von Jonathan Meese Die "Ameise der Kunst": Radikal, obsessiv, hemmungslos
Jonathan Meese ist ein Entfant terrible, schillernd, provokativ. Seine Kunst ist obsessiv, radikal, hemmungslos. Vom 11. September bis 31. Oktober gibt es Kunst dieses umstrittenen Stars in Quedlinburg. Die Lyonel-Feininger-Galerie widmet ihm eine Ausstellung und zeigt in "Totalste Graphik" erstmals in Deutschland das druckgrafische Werk Meeses in vollem Umfang.
Von Grit Warnat
Quedlinburg. Manche sehen in ihm einen völlig Durchgeknallten, der nicht nur mit seiner Kunst, sondern auch mit seinen Reden sein Publikum aufs Äußerste verwirren kann. Andere wiederum schätzen gerade das, sprechen in höchsten Tönen vom Genie. Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" nannte ihn einmal den "Meister der krawalligen Kunst".
Björn Egging, Leiter der Quedlinburger Feininger-Galerie, kann sich der Faszination Meeses nicht entziehen. Seit Jahren beobachtet er ihn und sein Werk und nennt Meese einen der spannendsten Künstler der Gegenwart. Egging: "Weil er so radikal ist, weil er einen bedingungslosen Willen zur Freiheit hat und weil er all das macht, was er sich vorstellt." Tatsächlich scheint sich Meese für nichts zu schämen. Egging: "In einer Welt, die so stark reglementiert ist, ist das schon eine Besonderheit."
100 Arbeiten als Energiespeicher
Meese, den Egging als überaus sympathischen Künstler ohne Allüren kennengelernt hat, steht für radikales Denken. So provoziert er beispielsweise mit der Rhetorik der Nazis, malt Eiserne Kreuze und das Konterfei Hitlers, um Pathos und Mythos loszuwerden. Er propagiert gern die Utopie "Diktatur der Kunst", in der nur noch die Kunst herrscht, redet von der "totalen Kunst", in der er nicht unterscheiden will in "meine" und "deine". Und so sieht sich Meese, der Star, vielmehr als "Ameise der Kunst".
Jetzt darf der in Berlin und Hamburg lebende Künstler in Quedlinburg provozieren. Die Stadt könne das vertragen und auch ertragen, sagt Egging mit einem Schmunzeln. Er freue sich auf die Ausstellung, die Meeses Druckgrafiken präsentieren wird – meist großformatige Lithografien, Radierungen und Holzschnitte. Präzise, klar und deutlich, pointiert.
Egging spricht von sehr interessanten Blättern und Serien und klaren, starken, expressiven Werken, die seit 2003 entstanden sind – etwa 100 Arbeiten, die mehrheitlich Bildnisse von historischen und mythologischen Figuren darstellen. "Wir sind das erste Museum, das die Druckgrafik von Jonathan Meese in diesem Umfang präsentiert", sagt Egging und spricht von der großen Kraft, die die Blätter auf ihn ausüben: "Sie sind für mich Energiespeicher. Sie künden von seiner unglaublichen Radikalität."
Zum großen Teil stammen sie aus dem Archiv von Jonathan Meese, sind Eigentum des Künstlers, sowie von privaten Leihgebern.
Immer Experimente, immer ohne Tabus
Meese, Sohn einer Deutschen und eines Walisers, 1970 in Tokio geboren, der als Kind nach Deutschland kam und nur japanisch gesprochen haben soll, hat sich erst spät für die Kunst entschieden. Er soll lange nicht gewusst haben, was er eigentlich machen wolle. Erst mit 22 Jahren soll er sich für die Kunst entschieden haben – immer wieder kolportiert wird, dass er zum 22. Geburtstag einen Zeichenblock seiner Mutter geschenkt bekommen haben soll. Ein Mythos? "Vielleicht", sagt Egging. Aber Meese sei tatsächlich ziemlich unbedarft an Kunst herangegangen. Das sei bis heute so geblieben. Meese probiert aus, verwendet unzählige Materialien, experimentiert – in allen Bereichen seiner Kunst, die ohne Tabus ist: Performances, Filme, Skulpturen, Theaterprojekte, Rauminstallationen.
Seine Werke werden gekauft, gesammelt, befinden sich in zahlreichen renommierten Museen. Im "Capital" wurde Meese 2006 zu den 100 bedeutendsten Künstlern gezählt. Vertreten wird er von der Contemporary Fine Arts, einer der Top-Galerien Berlins. Jetzt stellt sich Meese erstmals in einer Einzelausstellung in Sachsen-Anhalt vor.
Was kommt auf den Besucher zu, der eher Feiningers zarte Striche erwartet?
"Mal etwas ganz anderes", sagt Egging. Das Haus verstehe sich als Museum für Druckgrafik und Papierarbeiten und habe immer schon neben dem Klassiker Feininger auch andere Künstler präsentiert.
"Totalste Graphik" wird polarisieren. Das Publikum könne irritiert sein, die Kunst verwirrend wirken, meint Egging. Spannend wird wohl der Blick ins Gästebuch werden.
Derzeit wird in der Galerie eine "Black Box" schwarz gestrichen, in der neben Druckgrafiken auch eine Installation zu sehen sein wird. Was genau, das hat Meese nicht verraten. Er wird am 11. September (11.30 Uhr) anwesend sein.