Schauspielhaus Magdeburg lädt zum Themenwochenende mit Premieren und Hörparcours Die Gegenwart der Vergangenheit
Vor 80 Jahren kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Anlass für das Schauspielhaus, sich mit NS-Zeit, Rechtsextremismus und Demokratie auseinanderzusetzen. Das Theater verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart.
Magdeburg l Es war der 30. Januar 1933, als Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Den Fackelzügen am Brandenburger Tor in Berlin folgten Terror, Mord, Weltkrieg, Vernichtungslager. Rund 60 Millionen Menschen kamen ums Leben, der Zweite Weltkrieg brachte unbeschreibliches Leid über die Menschheit. Vor 80 Jahren begann dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.
Überall in Deutschland setzen sich Kulturschaffende mit diesem Jahrestag auseinander. Das Theater Magdeburg mit seinem Schauspielhaus plant Anfang Februar ein Themenwochenende - mit Inszenierungen, Lesungen, Konzerten, Gesprächen. Es geht dabei um den Blick zurück - verbunden mit dem steten Blick ins Hier und Jetzt. Thematisiert werden die Gefahren des Rechtsextremismus ebenso wie die Schwierigkeiten und Möglichkeiten demokratischen Engagements.
Borcherts Heimkehrerdrama auch im Heute
Für diese Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart stehen die Premiere "Noch ist Polen nicht verloren" von Jürgen Hofmann, die Uraufführung (bereits am 25. Januar Premiere) des Recherchestückes "Die Fraktion", die akustische Surensuche "Hört auf diese Stadt!" und die Premiere des großen Heimkehrerdramas "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert.
Borcherts Protagonist Beckmann kehrt aus dem Krieg zurück in seine Heimat, die zerstört ist und in der man nichts mehr vom Krieg wissen möchte. Für Stefan Schnabel, Chefdramaturg am Haus, ist das Stück ganz nah am Jetzt. Er nennt die deutschen Soldaten in Afghanistan. Beckmann sei im heutigen Verständnis ein Mensch mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, unter der auch eine Vielzahl von Männern und Frauen, die aus Afghanistan zurückkommen, leiden. "Es ist einerseits eine Auseinandersetzung mit einem wichtigen Stück deutscher Nachkriegsdramatik, wir setzen aber auch auf den aktuellen Anlass", sagt Stefan Schnabel. "Unser Thema ist die Gegenwart der Vergangenheit."
"Die Fraktion": Idealismus trifft auf Pragmatismus
Dafür steht auch "Die Fraktion" von Regisseur Enrico Stolzenburg und Autor Kai Ivo Baulitz - ein Stückauftrag und eine Stückentwicklung. Die Uraufführung am 25. Januar ist das Ergebnis eines dreiwöchigen Workshops in Magdeburg. Bereits im vergangenen Sommer hatte sich das Theaterteam dem großen Thema Demokratie genähert, mit Historikern, Juristen und einem Stadtrat gesprochen, Orte erkundet, dokumentarisches Material zusammengetragen. "Wir haben versucht, eine eigene Partei zu gründen, uns auf Ziele zu einigen. Das war ausgesprochen lebhaft und die spannendste Theaterprobe, die ich in den vergangenen Jahren hatte", sagt Dramaturg Dag Kemser. "Wir haben uns vor der Gründung schon zersplittert." Kemser spricht von einer tollen Erfahrung, die gezeigt habe, was demokratische Arbeit und Debatte im Kleinen bedeute. Letztlich geht es in dem Stück um die Frage, was passiert, wenn ein junger, enthusiastischer Mensch die Welt verändern möchte und in eine Partei mit alteingesessenen Politikern eintritt. Idealismus trifft dann auf Pragmatismus. Kai Ivo Baulitz beleuchtet die Geschichte einer Stadtratsfraktion und die Themen Politikverdrossenheit und Diskussionsmüdigkeit.
Aus der Workshop-Recherchearbeit ist Material geblieben für ein weiteres Projekt. "Hört auf diese Stadt!", eine akustische Spurensuche in Magdeburg, wird ebenfalls ab 25. Januar erlebbar sein. Mit MP3-Playern und Kopfhörern ausgestattet, können Besucher einen Hörparcours erleben. Für Schnabel ist es ein Spaziergang mit Hörspiel. Zwischen Opernhaus und Domplatz hört man Gespräche einer fiktiven Bürgerinitiative, die in Erinnerung an Totalitarismus einen Baum pflanzen möchte. Was ist vorhanden? Wie gingen unterschiedliche Gesellschaftssysteme mit Erinnerung um?
Hörparcours, Drama, Puppentheater nach Thomas Mann, geistreiche Unterhaltung mit der Komödie "Noch ist Polen nicht verloren", Gespräche, Lesungen - das Theater hat sich für eine große Bandbreite entschieden. Ein Angebot, das viele Interessierte ins Haus locken dürfte.