Im Gespräch mit Dirk Löschner, Intendant des Theaters der Altmark Stendal "Dieses Haus wird man nicht aufs Spiel setzen"
Mit einem Premieren-Festival startet das Theater der Altmark Stendal am Wochenende in die neue Spielzeit. "Angst(frei)" ist sie überschrieben, ein kämpferisches Motto, wie Intendant Dirk Löschner sagt. Im Interview mit Volksstimme-Redakteurin Grit Warnat spricht der 44-Jährige über Fördergeld, Theater als freiwillige Aufgabe, Einsparmöglichkeiten - und über die Zukunft des Hauses.
Volksstimme: Herr Löschner, Sie stehen vor Ihrer dritten Spielzeit in Stendal. Es ist Ihre letzte. Wie schwer fällt es Ihnen, gedanklich noch hier zu sein?
Dirk Löschner: Ich bin natürlich hier in Stendal und inszeniere auch wie bisher. Aber ich mache mir schon viele Gedanken, was ich noch alles anschieben kann, um meinem Nachfolger bzw. meiner Nachfolgerin einen guten Start zu bescheren.
Volksstimme: Der Wechsel an der Spitze des Hauses fällt in die Zeit der Verhandlungen mit dem Land über neue Förderverträge. Inwieweit werden Sie sich und Ihre Ideen noch einbringen?
Löschner: Mein Vertrag geht bis 31. Juli 2012. Bis dahin bin ich hier Intendant und werde mich einbringen. Die große Frage ist ja, wann eigentlich diese Vertragsverhandlungen beginnen. Bei den letzten Verhandlungen gehörte Stendal mit zu den ersten, die das Gespräch mit dem Kultusministerium gesucht haben. Aber von Seiten des Landes zogen sich die Verhandlungen dann eine Weile hin. Ich hoffe sehr, dass wir frühzeitig in Gespräche kommen und die nicht auf die lange Bank geschoben werden. Mein Wunsch wäre schon, die Grundlagen für einen neuen Vertrag noch in meiner Amtszeit auszuhandeln. Es geht ja darum, was das Haus leisten kann, was die Träger von dem Haus auch erwarten. Was ist personell und investiv überhaupt machbar. Für das Theater ist es wichtig, dass solche Leistungsziele vereinbart werden.
Volksstimme: Im Juni 2010 sagten Sie in einem Interview, dass von Entscheidungsträgern der Landes- und regionalen Kulturpolitik das Theater nicht infrage gestellt wird. Steht man Ihres Wissens nach angesichts der prekärer werdenden Finanzsituation noch voll und ganz hinter dem Haus?
Löschner: Die finanzielle Lage ist nirgendwo rosig. Aber der Landkreis Stendal hat bisher immer an der Finanzierung festgehalten. Sie ist seit langem nicht erhöht worden, aber der Zuschuss ist mit fast einer halben Million Euro wenigstens stabil geblieben. Die Hansestadt Stendal hat sogar immer wieder auf Entwicklungen reagiert und auch in Situationen, in denen es besonders eng war, das Theater zusätzlich unterstützt. Die Stadt steuert jährlich fast eine Million Euro zu. Das ist eine große Hausnummer. Trotzdem gibt es im Moment keine Signale, dass der Zuschuss reduziert wird. Stendal gehört zu den wenigen Städten, die einen ausgeglichenen Haushalt geschafft haben.
Das ist natürlich eine gute Grundlage. Aber die Stadt will diesen Status auch nicht verlieren, indem man sich Aufgaben aufhalst, die man sich nicht mehr leisten kann.
"Sparsames Wirtschaften hat seine Grenzen"
Volksstimme: Viele Kommunen müssen ein Defizit für ihre Theater ausgleichen, weil steigende Kosten zum Beispiel beim Personal von den Einrichtungen nicht aufgefangen werden können. Reicht denn das Geld aus, wenn das Land, der Altmarkkreis Salzwedel, und die Stadt Stendal sich zukünftig für eine Förderung in der bisherigen Höhe entschließen sollten?
Löschner: Nein. Ein Status quo reicht nicht.
Ich habe Verständnis, dass es eine große Unzufriedenheit in der Politik und in der Stadt gegeben hat, als vor meiner Amtszeit jedes Jahr ein Defizit - aus welchen Gründen auch immer - entstanden war.
2010 haben wir ein ausgeglichenes Ergebnis geschafft, aber auch nur, weil die Hansestadt Stendal schon im Vorfeld 150000 Euro auf den ursprünglich vorgesehenen Plan draufgelegt hat. 2011 konnte sie das nicht mehr. Ob wir es aber schaffen, das herauszuwirtschaften, kann ich noch nicht sagen. Sparsames Wirtschaften hat seine Grenzen.
Volksstimme: Solche Defizite resultieren meist aus gestiegenen Personalkosten. Ist das zu vermitteln?
Löschner: Mitarbeiter des Theaters, die städtische Beschäftigte sind, müssen wie die anderen Mitarbeiter auch eine Tariferhöhung bekommen. Das Geld muss wie für alle anderen auch hier zur Verfügung gestellt werden. Das leuchtet vielen nicht so ein. Vielleicht schaffen wir es ja, dass sich der sachsen-anhaltische Norden zusammenfindet und das gemeinsam einfordert.
Volksstimme: Sie meinen das Theater Magdeburg.
Löschner: Ja. Der Magdeburger Oberbürgermeister hat diese ungleiche Betrachtung ebenfalls kritisiert.
Volksstimme: Der größte Kostenfaktor ist das Personal. Es wurde vor Jahren schon von 100 auf 71 heruntergefahren. Würde der Theaterbetrieb mit noch weniger Leuten funktionieren?
Löschner: Ich habe den Personalbestand sogar auf 68 Mitarbeiter reduzieren müssen. Damit ist aber das, was der Betrieb verkraften kann, absolut ausgereizt. Und da die Kosten weiter steigen werden, müssen Mehreinnahmen von irgendwoher kommen. Nun kann man hoffen, den Altmarkkreis Salzwedel wieder stärker mit ins Boot zu holen, aber ich rechne nicht damit, dass das kurzfristig möglich sein wird. Das wird das Theater nur schaffen mit einer stärkeren Bespielung des Altmarkkreises Salzwedel, um sich dort noch besser im kulturellen Leben zu verankern.
"Die Frage ist, was das Theater leisten soll"
Volksstimme: Sehen Sie am Haus Einsparmöglichkeiten struktureller Art?
Löschner: Die Frage ist, was das Theater der Altmark leisten soll.
Man kann ja sagen, dass man nicht diese Breite des Spielplanangebotes haben will, sondern nur noch drei Komödien im Jahr. Dann kann man mit weniger Geld auskommen. Aber wenn man einen Spielplan vom Kindertheater über Klassiker bis hin zu musikalischen Programmen bieten und als Landestheater auch sehr mobil sein soll, dann geht es nicht weiter runter. Man muss die Ehrlichkeit haben und sagen, was man will.
Volksstimme: Bewertet werden Kultureinrichtungen gern nach Besucherzahlen und Auslastung.
Löschner: Das ist ohne Zweifel ein wichtiges Kriterium. Wir hatten in der vergangenen Spielzeit mehr als 65000 Besucher. Das ist für uns ein Spitzenwert. Die Auslastung von 65 Prozent hört sich nicht ideal an, hängt aber mit unserem Haus zusammen, das einmal als Dreispartenhaus gebaut worden war. Das können wir mit Schauspiel oder Musical nicht so füllen, wie man das mit einem Opernbetrieb könnte. Heute würde man für ein Ensemble unserer Größenordnung nie einen Saal mit Plätzen für 500 Besucher bauen.
Volksstimme: Das Nordharzer Städtebundtheater wird vom Zweckverband weniger Geld bekommen. Die Kommunen stöhnen unter der Schuldenlast, ziehen sich von freiwilligen Aufgaben wie der Theaterfinanzierung zurück. Kann das eine Signalwirkung haben?
Löschner: Es gab ja schon seit der Wiedervereinigung Reduzierungen. Die Theaterlandkarte ist auch in Sachsen-Anhalt kleiner geworden. Die Frage ist, wo soll es hingehen?
"Es wird suggeriert, dass es einen Weg zum Sparen gibt"
Eigentlich ist es Sache der Städte, zu sagen, was sie wollen. Aber die Länder bauen Druck auf die Kommunen auf, geben weniger Geld und fordern weniger Schulden. Einige Landesverwaltungsämter sagen dann ganz ungeniert, ihr müsst eure freiwilligen Leistungen kürzen oder einstellen. Es wird suggeriert, dass es da ja einen Weg zum Sparen gibt und der würde akzeptiert werden. Das ist ein Skandal. Denn freiwillige Leistungen sind von der Genese her ein besonderes Privileg der Bürgerschaften. Man wollte sich nicht vom Staat abnehmen lassen, für Kultur, Bildung, Freizeit zu sorgen. Und jetzt wird dieses Privileg umgekehrt in eine Überflüssigkeit. Was eine besondere Ehre, eine besondere Würdigung erfahren hat, wird jetzt ein besonderer Nachteil. Das darf nicht sein, wenn wir außerhalb der großen Kulturzentren wie München, Hamburg, Berlin konkurrenzfähig sein wollen in der geistigen Ausbildung nachfolgender Generationen.
Volksstimme: Wenn weniger Geld in den Haushaltskassen zur Verfügung steht, zittern immer die Kultureinrichtungen, weil sie zu den sogenannten freiwilligen Aufgaben gehören.
Löschner: Es gibt die Pflichtaufgaben der Kommunen, aber wer sagt, dass nur bei den freiwilligen Leistungen gespart werden darf? Das ist der einfachste Weg. Aber ich denke, dass Kommunen auch bei Pflichtaufgaben sparen können, indem sie bestimmte Bereiche anders organisieren. Man kann Aufgaben so oder so wahrnehmen.
Volksstimme: Muss man ein ausgesprochener Optimist sein, um heutzutage Intendant sein zu können?
Löschner: Es gelingt ja doch immer wieder, Bürgersinn zu aktivieren. Das ist eine schöne Erfahrung. Ich habe auch in Detmold, wo ich acht Jahre an einem Drei-Sparten-Haus gearbeitet habe und wo wir auch schwierige Situationen durchlebt haben, gemerkt, dass man mit einer gewissen Beharrlichkeit Politikern zeigen kann, welchen Wert solch eine Institution für die Stadt, für die Bürger hat.
Volksstimme: Ihr Spielzeitmotto heißt "Angst(frei)". Sind Sie angstfrei, wenn Sie an die Zukunft des Theaters denken?
Löschner: Ja, allerdings nicht ohne Befürchtungen. Man wird wie auch an anderen Standorten kämpfen müssen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das Haus gut aufgestellt ist. Vor allem in der Stadt Stendal und in der Altmark ist das Bewusstsein hinsichtlich des Theaters sehr stark ausgeprägt.
Wenndas Theater der Altmark hier aufhören würde zu existieren, gäbe es von Magdeburg bis Schwerin einen weiten Landstrich ohne ein produzierendes Theater. Unser Einzugsgebiet ist eine riesige Fläche, die östlich bis Potsdam reicht. Außer einer vorbeiziehenden Truppe würde es nichts mehr geben. Das wäre ein unglaublicher Kahlschlag. Dieses Haus wird man nicht aufs Spiel setzen.