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Domplatz-Open-Air Musik, Tanz und skurrile Fantasien

Im Schatten des Magdeburger Doms feierte am Freitag das Open-Air-Musical „Hair“ seine Premiere - das Publikum gab Ovationen im Stehen.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 19.06.2016, 23:01

Magdeburg l Es ist die bunte, schrille, mit Drogen bewusstseinserweiterte Welt der Hippies in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Mit langen Haaren, Slogans wie „Make love, not war“ und der Verachtung des Establishments machten sie deutlich, dass sie anders leben wollten. Sie setzten sich mit nach ihrer Meinung unpolitischen Mitteln gegen den Krieg in Vietnam, gegen Rassismus und Gewalt zur Wehr. Aber man kann nicht durch einen Fluss schwimmen, ohne nass zu werden, unpolitisch in einer politisierten Gesellschaft agieren.

Das war der Ansatz des heute in Hamburg lebenden Magdeburgers Erik Petersen, der als Regisseur dieser opulenten „Hair“-Inszenierung die Reihe erfolgreicher Arbeiten in seiner Heimatstadt fortsetzte. „Hair“ ist keine in sich geschlossene Geschichte, sondern eher die Aneinanderreihung von Szenen, Musikstücken, die inzwischen Welthits sind, Tanz und skurrilen Fantasieausflügen dank LSD. Wildes Hippie-Leben eben. Doch das war Petersen zu wenig. Krieg, Rassismus und Gewalt sind allgegenwärtig, das Auflehnen dagegen wichtiger denn je.

Dennoch kommt die Unterhaltung zu keiner Sekunde zu kurz. Auf der fiktiven Baustelle des World Trade Centers geht es auf allen Ebenen drunter und drüber; es wird gesungen, gelacht, getanzt und geliebt. Die etablierte Gesellschaft, angeführt von Mr. Bukowski, in dieser und weiteren Rollen genial mit Peter Wittig besetzt, will diese Hippie-Gruppe, auch „Tribe“ genannt, vertreiben. Doch Sohn Claude Bukowski (Jan Rekeszus), schließt sich den Hippies an, die er bewundert. Damit ist der Reigen der Stars eröffnet, die für ein solches Open-Air-Spektakel als Publikumsmagneten wichtig sind.

Jan Rekeszus in der Hauptrolle des Claude ist zweifellos ein Shooting-Star. Vor gerade einmal vier Jahren begann er ein Musicalstudium an der Berliner Universität der Künste. Schon ein Jahr später war er Preisträger des Bundeswettbewerbs Gesang. Dass er gleichzeitig auch ein hervorragender Darsteller ist, machte er mit der Entwicklung des zögernden jungen Mannes, der ständig zwischen seinen Wünschen nach dem freien Hippie-Leben und den Zwängen der Gesellschaft hin- und hergerissen wird, überzeugend deutlich.

Der Münchner Gil Ofarim startete seine Musikkarriere 1997, ist mit seiner Rock-Band „Acht“ und als Schauspieler überaus erfolgreich. Die Magdeburger Inszenierung „Hair“ war sein erstes Musical, die Rolle des „Tribe“-Anführers Berger eine wirkliche Herausforderung für ihn. Vater Abi Ofarim, israelischer Sänger, Gitarrist und Choreograph, der als Gesangsduo Esther & Abi Ofarim international bekannt wurde, verfolgte übrigens aus dem Publikum den Auftritt seines Sohnes.

Stimmlich herausragend überzeugte Ana Milva Gomes in der Rolle der Dionne. Die gebürtige Holländerin mit kapverdischen Wurzeln ist auf den europäischen Musicalbühnen zu Hause. Nedime Ince (Sheila) stand ihr in nichts nach. Für die Rolle in „Hair“ brachte sie Erfahrung mit, denn auch in Darmstadt und Coburg brillierte sie bereits in diesem Stück. Zu einem der Publikumslieblinge avancierte sehr schnell Beatrice Reece, die als Jeanie mit sehr viel Komik und gesanglicher Brillanz immer wieder ihre unerschöpfliche, aber unerwiderte Liebe zu Claude offenbarte.

Die Musik mit Titeln wie „Aquarius“, „Good Morning Starshine“ oder „Easy to be hard“ kennt beinahe jeder. Damian Omansen, überglücklich, als musikalischer Leiter die gesamte Magdeburgische Philharmonie „vereinnahmen“ zu können, schrieb jede Menge neuer Arrangements, setzte den rockbetonten Titeln hier und da fast sinfonische Elemente hinzu.

Bühnenbildner Jens Kilian gelang der Spagat zwischen dem tristen Baustellenambiente voller Gerüste und dem farbigen, prallen Hippie-Leben bestens, und Dagmar Morell, zu jung, um auf eigene Hippie-Erfahrungen zurückgreifen zu können, fühlte sich mit sehr viel Fantasie bei der Kostümgestaltung ein. Sie alle trugen wesentlich dazu bei, dass auch das Musical-Open-Air 2016 zu einem Gütezeichen wurde.

Das Theater bringt das Musical bis zum 10. Juli noch 17-mal zur Aufführung.