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Im Nordharzer Städtebundtheater hatte Schillers "Kabale und Liebe" Premiere Drama der Unreife und Beschränktheit

Von Hans Walter 10.10.2011, 04:32

Bei der Premiere am vergangenen Freitag fesselte "Kabale und Liebe" in Quedlinburg das überwiegend junge Publikum rund drei Stunden lang.

Quedlinburg. l Aus Schillers Drama "Kabale und Liebe" kennt der Deutsche höchstens noch ein paar geflügelte Worte wie "Die Limonade ist matt wie deine Seele". Der Rest ist vergessen, obwohl das Stück doch allzeit zum Theater-Pflichtprogramm gehörte. Die Musikertochter Luise Miller und Major Ferdinand von Walter waren die Guten und Edlen, die in ihrer Liebe durch die Intrigen des Präsidenten Walter und der Lady Milford sterben mussten. Schluss, aus.

Regisseur Hannes Hametner hatte eine andere Sicht, ohne Schiller zu vergewaltigen. Seine Konzeption ist stimmig: "Das Stück ist das Drama der Unreife (Ferdinand) und der kleinbürgerlichen Beschränktheit (Luise)." Sie "hat sich in den Stricken ihrer religiösen Borniertheit selbst zu Fall gebracht."

Dieser Schiller fesselt drei Stunden. Das überwiegend junge Premierenpublikum sah am Sonnabend in Quedlinburg gebannt das minimalistische Schauspiel der sieben Akteure, das sie persönlich anging und ansprang. Acht Minuten rhythmischer Beifall!

Hannes Hametner hatte bei Probenbeginn vermutlich nur das Konzept, nicht aber fertige Lösungen in der Tasche. Er setzte auf kluges Teamwork. Alles entwickelte sich in Zusammenarbeit mit seiner Szenografin Susanne Bachmann, dem neu engagierten Dramaturgen Sebastian Fust, mit dem bewährten Komponisten Jürgen Grözinger, dem Videokünstler Robert Heber und dem jungen Schauspielensemble.

Die Charaktere der Personen blitzen in den Kostümen auf. Ein Bühnenbild aus gelben Tüchern mit sparsamsten Ausstattungsdetails. Die Tücher sind Wände wie Spielwiese für Luise und Ferdinand und Video-Projektionsfläche.

Zum Schluss fallen sie. Nichts verhindert die Sicht auf das Innenleben, auf Motive und Sprache der Schillerschen Protagonisten. Ein gleißender Spot strahlt ins Publikum. Eine Zuschauer-Provokation: Hätte es Wendepunkte im Schicksal von Luise und Ferdinand gegeben? Was hätte anders laufen müssen?

Jörg Vogel ist Ferdinand. Sehr jung, sehr verspielt. Kein "Major". Zu Beginn wirft er die Bibel Luises (Susanne Rösch) weg. "Ich fürchte nichts als die Grenzen meiner Liebe." Ihre Religiosität ist solche Grenze. Poesievoll-erotisch ihre spielerischen Begegnungen auf der Bühne und im Video.

Groß die Bilder, etwa, wenn Luise den von Wurm (Markus Manig) diktierten bühnenlangen Brief schreibt. Beeindruckend die Körpersprache der Lady Milford (Illi Oehlmann). Ihre Begegnungen mit Ferdinand und Luise zeigt sie als unglückliches, nutzloses Gefäß.

Musiker Miller (Arnold Hofheinz) sucht als schwäbelnder, bigotter Alleinunterhalter zu Beginn die Töne zu "Ich wünsch dir Lieben ohne Leiden" zusammen. Am Ende leiden sie alle am Tod beider Kinder.

Sterbend streckt Ferdinand seine Hand dem politisch übermächtigen Vater und Präsidenten Walter (Benedikt Florian Schörnig) entgegen. Er hat das letzte Wort: "Er vergibt mir." Wirklich? Vielleicht ...

Eine fantasievolle Regie- und Denkarbeit für ein großartiges Ensemble!