Der erfolgreiche DDR-Schriftsteller Erwin Strittmatter wurde heute vor 100 Jahren geboren Ein Autor zwischen Verehrung und Kritik
Erwin Strittmatter gehörte zu den bekanntesten Schriftstellern der DDR. Durch mehrere Publikationen ist längst eine Debatte über die Moral und das Vermächtnis des Schriftstellers entbrannt, der heute vor 100 Jahren geboren wurde.
Berlin (dapd) l 1969 notierte Erwin Strittmatter in seinem Tagebuch: "Ich lebe zwei Leben. Eines als Pferdezüchter und eines als Schriftsteller. Eines weiß vom anderen nichts, aber sie profitieren voneinander." Es ist eines der Selbst- und Fremdbilder, mit denen der bekannteste Schriftsteller der DDR gern kokettierte - als einfacher Mann, der über das Volk und für das Volk schrieb. Inzwischen ist der deutsch-sorbische Autor umstritten wie nie, weil sein Lebensentwurf brüchig geworden ist.
Strittmatter wurde in Spremberg in der Niederlausitz als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren und wuchs im nahegelegenen Bohsdorf auf. Er erlernte das Bäckerhandwerk und schlug sich in Berufen wie Kellner, Chauffeur, Pferdeknecht und Fabrikarbeiter durch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er durch die Bodenreform ein Stück Ackerland, arbeitete als Amtsvorsteher für sieben Gemeinden, später als Redakteur einer Lokalzeitung und schließlich ab 1951 - nach der Veröffentlichung seines ersten Romans "Ochsenkutscher" - als freier Autor.
Wirbel um Strittmatters Einsatz im Zweiten Weltkrieg
Schon 1963 bemerkte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über die "offiziellen Biografien" und die Auflistung der vielen Berufe: "Auffällig karg sind hingegen in allen biografischen Angaben über Strittmatter die Informationen über seine Kriegsjahre. Wir erfahren lediglich, dass er Soldat war und gegen Ende des Kriegs desertierte."
Erst seit 2008 - 14 Jahre nach Strittmatters Tod - kommt durch neue Forschungen langsam Licht in das Dunkel: Strittmatter, der von sich sagte, er habe im Krieg nie einen Schuss abgegeben und in der DDR als moralische Instanz auftrat, hatte ab 1941 der Ordnungspolizei angehört. Im Polizei-Gebirgsjägerregiment 18, das 1943 den Ehrentitel "SS-Polizei-Gebirgsjägerregiment" erhielt, war in Slowenien und Griechenland im Einsatz. Ob er Zeuge von Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung und Einsätzen gegen Partisanen war oder persönlich an ihnen teilnahm, ist offen. Andeutungen gibt es. So schrieb Strittmatter seinen Eltern 1942 aus der slowenischen Oberkrain: "Dann nahmen wir es (das Dorf) endlich und brannten alles nieder."
Bertolt Brecht förderte den Weg als Schriftsteller
Wirbel um verschwiegene Kapitel in Strittmatters Biografie hatte es bereits zuvor gegeben: Mitte der 1990er Jahre wurde bekannt, dass er der Staatssicherheit von 1959 bis 1963 als geheimer Informant zugearbeitet hatte. Dennoch soll Strittmatter 1961 die Verhaftung von Günter Grass in der DDR verhindert haben, indem er Informationen nicht weitergab - ob aus Unachtsamkeit oder Absicht, ist unklar.
Sein Weg als Schriftsteller wurde von Bertolt Brecht gefördert. Dieser führte Strittmatters Szenenfolge "Katzgraben" 1953 am Berliner Ensemble auf. Die Bauernkomödie war, bemerkte Brecht, "das erste Stück, das den modernen Klassenkampf auf dem Dorf auf die deutsche Bühne brachte". Brecht hatte auch Anteil daran, dass Strittmatter den Nationalpreis erhielt und im Schriftstellerverband der DDR Fuß fasste.
Bekannt wurde Strittmatter aber nicht mit Bühnenstücken, sondern als Erzähler, der auf humorvoll-ironische Weise über die "kleinen" Leute und ihr Leben auf dem Land schrieb - etwa in "Tinko" (1954), "Der Wundertäter" (1954, 1973, 1980) oder "Ole Bienkopp" (1963). Unter Literaturkritikern ist er umstritten. Marcel Reich-Ranicki attestierte ihm in "Deutsche Literatur in West und Ost" 1963 zwar eine "deutlich erkennbare epische Begabung", äußerte aber zugleich: "Es fällt schwer, einen Unterschied zwischen dem intellektuellen Niveau des Heimatdichters Strittmatter und demjenigen seiner volkstümlichen Helden zu erkennen." Dem Erfolg hat das nicht geschadet: Seine Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt und erreichten eine Millionenauflage.
"Laden"-Verfilmung machte ihn im Westen bekannt
In der DDR gehörte Strittmatter zur Schullektüre, in der Bundesrepublik - und später den alten Bundesländern - hatte er hingegen lange Zeit einen schweren Stand: Sein Roman "Der Laden 3" wurde 1992 in sieben Wochen 50000 Mal gekauft - aber nahezu ausschließlich im Osten. Erst die Verfilmung der autobiografischen Trilogie 1998 machte Strittmatter in beiden Teilen Deutschlands bekannt. Fünf Millionen Zuschauer verfolgten in der ARD die Geschichte einer Lausitzer Bäcker- und Krämerfamilie und ihres Ladens. Heute zieht es jährlich 4000 bis 6000 Strittmatter-Fans nach Bohsdorf zum Laden, der als Museum wiedereröffnet wurde.
Neues Denkmal erinnert an das Dichterehepaar
Trotz der Diskussionen um seine Biografie fallen die Ehrungen zum 100. Geburtstag Strittmatters umfangreich aus. Im Geburtsort Spremberg, wo die Stadt eine offizielle Ehrung aufgrund der neuen biografischen Erkenntnisse ablehnt, würdigt der Erwin-Strittmatter-Verein den Dichter - und erwartet 2012 deutlich mehr Besucher im Bohsdorfer Museum wegen des Jubiläums. Erst im Februar 2012 wurde ein neues Denkmal für das Dichterehepaar Erwin und Eva Strittmatter in Dollgow (Mark Brandenburg) eingeweiht, wo er und seine Frau seit 1954 lebten und wo sich auch ihr Grab befindet. Es scheint, dass die biografischen Brüche der Beliebtheit des Volksschriftstellers wenig anhaben können.