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Fernsehkritik Kalkofe: 95 Prozent Krimis im TV

Fernsehen gucken gehört für Oliver Kalkofe zum Berufsalltag. Im Interview verrät er, warum ihn viel Formate nerven.

26.12.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Oliver Kalkofe ist Schauspieler, Komiker und nicht zuletzt satirischer Fernsehkritiker. Mit seinen spitzen Kommentaren zu Fernsehausschnitten in „Kalkofes Mattscheibe“ wurde er bereits in den 90er Jahren bekannt – und bekam dafür den Grimme-Preis. Für den Sender Tele 5 blickt er am 27. Dezember (20.15 Uhr) satirisch auf das Fernsehjahr zurück.

Gucken Sie noch Fernsehen im Sessel und drücken auf die Fernbedienung?

Oliver Kalkofe: Nein, auf gar keinen Fall, das wäre fahrlässiger Übermut. Es gibt so Momente im Hotel oder wenn man krank ist vielleicht. Aber sonst mache ich das schon lange nicht mehr. Ich gucke aber auch wenig auf dem Tablet oder ähnlichen Geräten, sondern ganz viel von der Festplatte, was ich aufnehme. Ich schaue schon noch über das Fernsehgerät, weil es für mich einfach immer noch das Beste ist vom Ton und vom Bild her und ich Fernsehen ja genießen möchte. Aber ich suche genau aus, was ich sehen will.

Und wie geht das?

Ich arbeite mich gründlich durch die TV-Zeitschrift und markiere, was ich sehen will, das nehme ich auf. Und den Rest gucke ich nicht. Einfach mal reinzappen und gucken, was so läuft, geht fast immer in die Hose und frustriert. Ich rege mich dann am Ende immer nur auf und denke darüber nach, was ich daraus für meine Sendung machen müsste.

Die Zahl der Sender und Programme ist enorm gewachsen – wie behält man da den Überblick?

Das ist fast unmöglich. Und es schreit auch nach einer Neubewertung des Fernsehverhaltens. Vor allem weil der Großteil der Nutzer heute über andere Geräte oder zeitversetzt fernsieht, aber die Quote, die die einzig ausschlaggebende TV-Währung ist, immer noch so wie vor 30 Jahren das Live-Fernsehen auf dem Gerät im Wohnzimmer misst. Das stimmt einfach nicht mehr mit der Realität überein. Man sollte dringend eine aktualisierte Art der Messung und Bewertung finden. Unser Nutzungsverhalten hat sich grundlegend geändert, in der Auswertung der Quotenmessung verhalten wir uns aber, als wäre vor 30 Jahren die Zeit stehengeblieben.

Wie war denn Ihr Fernsehjahr 2017 – haben Sie so viel geguckt wie nie?

Ich habe so viel geguckt, wie ich immer muss, das heißt, das Nötigste, aber das ist gefühlt schon viel zu viel. Ich gucke für meine Sendungen ja zum Glück nicht jeden Tag, sondern es wird alles aufgenommen und ich bekomme dann lange Listen mit den Lowlights, den schlimmsten Fundstücken. Aber wenn etwas richtig Furchtbares dabei ist, muss ich das dafür immer wieder anschauen, je schlimmer, desto öfter.

Ist das nicht ein Klischee, dass alles immer schlimmer wird?

Ich wünschte, es wäre so, aber leider ist es eine Wahrheit. Bei jedem Jahresrückblick ergibt sich für mich ein Leitthema, diesmal war es kranker Körperkult. Da wurden Dinge im Fernsehen gezeigt, die man sich vor einigen Jahren nicht hätte vorstellen können, zum Beispiel in manchen Datingshows. Als Zuschauer gewöhnt man sich erschreckend schnell an jeden neuen Tabu-Bruch. Zum Jahrtausendwechsel ging es los mit den Reality-Formaten bei den Privaten, und da wurde anfangs noch darüber diskutiert, ob es in Ordnung sei, Menschen beim Wohnen zu beobachten. Es hat nur zwei Jahre gedauert, da kam schon die Kamera in die Dusche. Heute wird direkt auf Nacktheit und Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr gecastet.

Werden die Arbeitsmöglichkeiten dadurch für einen satirischen Medienkritiker nicht immer besser?

Ich habe nie Angst darum gehabt, dass Fernsehen irgendwann mal so gut wird, dass ich keine Arbeit mehr habe, das wird nie passieren. Irgendwann ist aber die eigene Schmerzgrenze erreicht und ich denke oft, das kann ich ja gar nicht mehr parodieren, zum Beispiel bei vielen Scripted-Reality-Formaten. Das sind ja quasi verfilmte Comedy-Geschichten, nur leider ernst gemeint.

Gab es denn positive Überraschungen für Sie im Fernsehen 2017?

So richtig positive? Kaum, so leid es mir tut. Es gibt noch immer verlässliche Programme und Leute, deren Sendungen ich mir gerne ansehe wie die „heute show“, Böhmermann oder Joko und Klaas, bei denen merkt man wenigstens noch, dass sie Spaß an Innovation und Kreativität haben.

Sehen Sie denn positive Trends, zum Beispiel den, mehr Serien zu produzieren? Da gab es 2017 ja einige neue.

Da finde ich jeden Versuch, der gemacht wurde, absolut positiv, egal wie es mir persönlich gefallen hat. Zum Beispiel „Charité“ oder „Babylon Berlin“, das bald ja auch in der ARD läuft, oder „Dark“, die erste deutsche Serie bei Netflix. Jeder neue und mutige Versuch ist überaus zu begrüßen, da man sich in Deutschland immer noch viel zu wenig traut. Gefühlte 95 Prozent aller Serien, die in Deutschland produziert werden, sind Krimiformate, die sich lediglich durch ihren Regionalbezug unterscheiden, aber ohne inhaltliche Vielfalt wie zum Beispiel in England oder Skandinavien.

Gibt es denn ein Format, das Ihnen besonders fehlt?

Mir fehlt alles, was in Richtung Genre geht, egal ob Mystery, Science-fiction, Comedy, History oder was auch immer. Alles, was nicht Krimi oder Familienserie ist, fände ich schon mal toll. Und auf dem Humorsektor liegt extrem viel brach. Und dass wir in Deutschland keine funktionierende Late-Night-Show haben, finde ich traurig und beschämend.

 Tele 5 zeigt „Kalkofes Jahresrückblick: Fresse, 2017!“am 27. Dezember um 20.15 Uhr.