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Theater der Altmark Stendal zeigt Ibsens "Ein Volksfeind" In dieser Inszenierung gibt es auch diverse Grautöne

05.10.2010, 04:18

Wie schnell kann jemand vom Volksfreund zum Volksfeind werden? Henrik Ibsens Stück zeigt in der höchst unterhaltsamen Inszenierung am Theater der Altmark, dass das unter Umständen sehr schnell gehen kann.

Von Birgit Tyllack

Stendal. Eben wurde Badearzt Thomas Stockmann für seine Entdeckung von gefährlichen Bakterien im Wasser des aufstrebenden Badeortes noch gefeiert, im nächsten Moment wird er dafür verdammt. Der Umschwung in der Meinung der Öffentlichkeit kommt zeitgleich mit der Aufrechnung der Kosten. Der anfängliche Held der Stunde steht am Ende allein in den Trümmern seiner bürgerlichen Existenz. Er und seine Tochter verlieren ihre Arbeit, der Vermieter kündigt ihm, die Mitbürger schmeißen seine Fensterscheiben ein.

Ibsens "Ein Volksfeind" von 1882 ist einmal mehr ein Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft, in der Profit vor Wahrheit und somit Unrecht vor Recht geht. Im Kern ein immer noch aktuelles Thema. Doch es ist alles schon viel zu oft gehört worden: Ein einzelner Gutmensch im Kampf gegen die skrupellose Politik und die böse, manipulierende Presse.

Die Stendaler Inszenierung unter der Regie von Klaus Gehre (Dramaturgie Sascha Löschner) geht ein Stückchen weiter. Und das bekommt dem fast 130 Jahre alten Werk. Hier gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch diverse Grautöne.

Dr. Stockmann ist nicht immer nur Held der Geschichte, hat nicht immer die ungeteilte Sympathie der Zuschauer auf seiner Seite. Zu selbstverliebt lässt er sich und seine Entdeckung zu Beginn feiern. Und wenn er am Ende gar behauptet, dass nur die Minorität einer Gesellschaft im Recht ist, regt sich der Widerspruchswillen.

Bei allem Verständnis für seine Situation. Dr. Stockmann isoliert sich – im Glauben, dass nur derjenige, der allein steht, Stärke besitzt. Damit beraubt er sich jedoch der Handlungsfähigkeit und gibt auf, wo er zum Wohle der Allgemeinheit weitermachen sollte.

Regisseur Gehre hat der gesamten Aufführung den Staub der Jahre genommen. Witzige Regie-Einfälle lockern die Handlung auf: Es gibt Elemente des Stummfilms, der Oper und des Slapsticks, um nur einige zu nennen.

André Vetters als Dr. Stockmann scheint die Rolle auf den Leib geschneidert zu sein. Mathias Kusche als Peter Stockmann (Bruder, Stadtrat und Hauptwidersacher) ist der perfekte Gegenspieler. Wo der erste locker, unbekümmert und kraftvoll wirkt, ist der andere steif, bieder und farblos.

Im Lauf der Handlung ändert sich dieses Bild. Peter gewinnt an Stärke und Kontur, während sein Bruder den Boden unter den Füßen verliert. Alexa Wilzek, Susanne Kreckel, Bernd Marquardt, Jan Kittmann, Michel Haebler und Eckart Schönbeck sind die übrigen Akteure, die zu dieser gelungenen Inszenierung beitragen. Christopher Melchings Bühnenausstattung ist genial einfach und ermöglicht eine schnelle Veränderung des Raumes für die verschiedenen Szenen.

Hingehen und anschauen! Unterhaltsamer wird man ein Ibsen-Stück kaum präsentiert bekommen.