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Interview "Ein Kind soll sein können, wie es ist"

Volksstimme-Redakteurin Christina Bendigs sprach mit Regisseurin Grit Lukas über ihr neues Stück im Schauspielhaus Magdeburg.

20.02.2020, 23:01

Magdeburg l Tina Müllers Stück „Falk oder Der süße Gedanke vom Aufstehen und Gehen“ stellt mit Falks ungewöhnlicher Geschichte wichtige Fragen an das von Leistungsdruck und Anpassungspflicht geprägte deutsche Bildungssystem. Temporeich, witzig, aber auch nachdenklich werde aus der Perspektive von Falks Freunden Isa, Henri und Sonntag dessen Konflikt mit Lehrern, Eltern und sich selbst erzählt – heißt es in der Ankündigung des Magdeburger Schaulspielhauses zu dem Schauspiel ab 14 Jahren.

Volksstimme: Frau Lukas, haben Sie aufgrund Ihrer eigenen Erfahrungen eine besondere Verbindung zu dem Stück empfunden oder sich vielleicht sogar bewusst dafür entschieden, Regie zu führen?

Grit Lukas: Ich kannte das Stück vorher nicht. Aber ich habe mich sofort darin erkannt. Die Arbeit daran ist für mich ein Reflektieren über meine eigene Schulzeit. Das Stück wird eine breite Zuschauermasse ansprechen: Schüler, die aktuell zur Schule gehen, Eltern, die sich mit der Thematik beschäftigen, aber auch Leute wie uns, die vor zehn, fünfzehn Jahren Abitur gemacht haben.

Worum geht es in dem Stück?

Es geht um Falk, das ist unser vermeintlicher Protagonist, der aber gar nicht selbst auf der Bühne steht. Seine Freunde Isa, Henri und Sonntag erzählen die Geschichte von Falk. Er hat, würde ich mal sagen, einen schwierigen Schulstart gehabt. Es fällt ihm alles nicht so leicht. Seine Eltern, die sehr leistungsorientiert sind, attestieren ihm vermeintliche Schwächen wie ADHS oder Lese-Rechtschreib-Schwäche. Sie wollen das Beste für ihn, aber sie schicken ihn zu Therapeuten und versuchen mit Lehrern zu reden. Falk fängt an, das alles infrage zu stellen. Also: Warum kann ich nicht so sein, wie ich bin, und kann ich nicht auch ohne Abitur meinen Weg in die Zukunft gehen?

Was ist das Besondere an dem Stück?

Das Besondere ist, dass Falk selbst gar nicht auf der Bühne ist, sondern seine Freunde über ihn sprechen und dabei auch in die Rolle von Eltern und Lehrern schlüpfen. Jeder Zuschauer wird auf diese Weise seinen ganz persönlichen inneren Falk entstehen lassen. Ich finde, das ist eine tolle formale Herangehensweise der Autorin. Die Herausforderung besteht darin, dass wir über die drei anderen Figuren ein Bild von Falk entstehen lassen. Die Autorin hat auch einen unglaublich guten Wortwitz, den wir gerne bedienen.

Sie hatten bereits Testpublikum in den Proben. Wie haben Schüler und Lehrer reagiert?

Sie waren sehr angetan. Ich glaube, sie konnten sich gut in die Situation und die Argumente der Figuren hineinversetzen.

In Magdeburg haben Sie schon mehrere Stücke inszeniert, wie zum Beispiel „Bin nebenan“, „Mongos“ und „Pippi Langstrumpf“. Kürzlich wurden Sie mit dem Förderpreis des Magdeburger Theaterfördervereines ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist für mich eine ganz besondere Würdigung meiner Arbeit und ein Ansporn, weiterzumachen. Sonst wurden immer Schauspielerinnen und Schauspieler ausgezeichnet. Jetzt haben sie diesen Preis einer Regisseurin gegeben. Das ist ein Novum und ehrt mich.

Warum sind Sie Regisseurin geworden?

Ich habe schon relativ früh meine Leidenschaft fürs Theater entdeckt und mich ausprobiert. Ich habe erkannt, welche Möglichkeiten Theater bietet. Auch im Schauspiel habe ich mich ausprobiert und festgestellt, dass ich als Regisseurin viel mehr bewirken und meine Visionen auf die Bühne bringen kann. Ich suche gerne nach Themen, die auch einen gesellschaftspolitischen Kontext und eine Relevanz haben. Das war auch der Grund, warum ich „Falk“ so dankbar angenommen habe.

Haben Sie als Regisseurin schon einen eigenen Stil entwickelt?

Ich bin da immer noch auf der Suche. Es fällt schon auf, dass ich immer sehr modulartig arbeite und versuche, Projektionsflächen anzubieten. Das Bühnenbild ist immer wie ein zusätzlicher Spieler. Wichtig sind mir immer die Schauspieler. Ich versuche, immer aus dem einzelnen Individuum das herauszukitzeln, was es mitbringt.

Sie haben neben Magdeburg bereits in Halle, Innsbruck, in Heilbronn, in Tübingen und Stuttgart inszeniert. Welche Herausforderungen als junge Regisseurin haben Sie bei der Arbeit an verschiedenen Häusern erlebt?

Es gibt an einigen Theatern nach wie vor Diskrepanzen bei der Gleichstellung von Männern und Frauen. Ich habe außerdem beobachtet, dass die Arbeit für Familien oft nicht einfach ist. Das bringt zum einen der Lebensstil beziehungsweise der Arbeitsrhythmus am Theater mit sich. Die Problematik wird aber auch von den gegebenen Strukturen begünstigt. Ich merke aber, dass es ein Umdenken gibt und die Häuser offener werden. Es gibt Modelle, in denen man auf Kinderbetreuung eingeht oder eine Betreuungspauschale eingerichtet hat. Es wäre schon schön, wenn sich die Theater da noch mehr hin entwickeln würden.

Hätten Sie ein Kind wie Falk, glauben Sie, Sie könnten als Mutter entspannt bleiben?

Das ist tatsächlich auch Thema des Stückes – wie die Eltern damit umgehen. Erst mal würde ich von den Eltern Abstand nehmen und sagen, das Kind ist, wie es ist. Aber ich weiß nicht, wie es mit dem eigenen Kind wäre. Man will am Ende doch immer, dass es das besondere Kind ist. Ich hoffe einfach, dass das Stück so nachhaltig bei mir wirkt, dass ich mein Kind nicht unter Druck setzen würde, sondern so unterstützen würde, wie es das braucht, und es sein kann, wie es ist. Aber ich weiß nicht, ob mich dann nicht doch der Ehrgeiz packen würde.

Wenn Sie eine Schule erfinden könnten, was wäre dort anders als in heutigen Schulen?

Ich glaube, ich würde eine Schule erfinden, die komplett individuell auf jeden einzelnen Schüler eingeht und auf seine Stärken. Da sollte es keine Pflichtfächer wie Mathe, Deutsch, Fremdsprachen geben. Man muss es den Schülern zwar anbieten, aber am Ende müsste eine Individualisierung stattfinden.

Warum ist Ihnen diese Individualität so wichtig?

Ich hätte mir zu meiner Schulzeit sehr gewünscht, dass meine Stärken mehr gefördert worden wären und ich mich künstlerisch noch mehr hätte ausprobieren können. Und ich hätte gern auf Mathe verzichtet. Ich habe mich da schon ganz schön gequält. Ich habe irgendwann den Anschluss und auch das Interesse verloren. Es war überhaupt nicht abzusehen, was mir das für meine Zukunft bringt.