Kinodoku aus Köln: Als die NSU-Opfer zu Tätern wurden
2004 ließ die Terrorzelle NSU vor einem Friseursalon in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe hochgehen. Eine Dokumentation zeichnet jetzt nach, wie die Polizei den Friseur jahrelang zu Unrecht verdächtigte.
Köln (dpa) - Die erste Frage, die Özcan Yildirim von der Polizei gestellt wurde, nachdem 2004 vor seinem Friseursalon eine Nagelbombe explodiert war, lautete: Sind Sie versichert?
Die Polizei hielt es für möglich, dass er selbst hinter dem Anschlag stecken könnte - eventuell um die Versicherungsprämie zu kassieren. Erst sieben Jahre später wurde deutlich, dass der Nationalsozialistische Untergrund NSU für die Tat verantwortlich war. Von Yildirims Martyrium erzählt jetzt der Film Der Kuaför aus der Keupstraße.
Grundlage der Dokumentation sind die Vernehmungsprotokolle der Polizei, die all die Jahre davon ausging, es mit einer Abrechnung im kriminellen türkischen Milieu zu tun zu haben. In Richtung Rechtsextremismus wurde nicht ermittelt, obwohl Yildirim und viele andere Händler aus der türkisch geprägten Keupstraße in Köln-Mülheim von Anfang an davon überzeugt waren.
In seinen Mitteln ist der Film sehr zurückgenommen. Schauspieler sprechen die Vernehmungen nach, aber es wird nie der Eindruck einer Spielfilmszene erweckt. Wir wollten eine Distanz, eine Abstraktion schaffen, erzählt der Regisseur Andreas Maus. Die Protokolle sprechen für sich selbst und erscheinen für sich genommen wie eine zeitgemäße Version von Franz Kafkas Prozess. In erschütternder Weise zeigt sich hier, wie die Behörden einem Unschuldigen auch in einem Rechtsstaat zusetzen können.
Die Polizei schreckte nicht davor zurück, Yildirim zu beschatten und verdeckte Ermittler auf ihn anzusetzen. Noch zwei Jahre nach dem Anschlag wurde er sieben Stunden verhört. Das Schlimmste für ihn war jedoch, dass er nun auch in der Keupstraße selbst misstrauisch beargwöhnt wurde. Alle haben mit dem Finger auf uns gezeigt. Der damalige Kölner Polizeipräsident Klaus Steffenhagen erklärte sich zwar bereit, in dem Film aufzutreten, doch nur um zu versichern, er habe die Ermittlungen nicht verfolgt und könne darum auch nichts dazu sagen: Dafür fehlt mir einfach jede Kenntnis.
Nach der Aufdeckung der NSU-Verbrechen gaben sich deutsche Politiker bei Yildirim zeitweise die Klinke in die Hand - bis hin zu Bundespräsident Joachim Gauck. Der Film endet mit einer Szene, in der sich ein Mann, der bei dem Anschlag verletzt wurde, bei Yildirim darüber beklagt, dass nur dieser die ganze Aufmerksamkeit bekomme und er selbst zum Opfer zweiter Klasse degradiert werde. Zumindest fangen die Leute jetzt endlich an, darüber offen zu reden und zu streiten - ohne sich deshalb gleich zu zerstreiten, sagt Regisseur Maus. Aber immer noch liegt ein Schatten über der Straße.