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Kultur Freie Kulturszene erhebt ihre Stimme

Mit einer Kunstaktion hat die freie Szene des Landes auf ihre Notlage aufmerksam gemacht. Das Land beschloss ein Millionen-Förderprogramm.

Von Janette Beck 28.05.2020, 01:01

Magdeburg l Strahlend blauer Himmel über Magdeburg. Riesige schillernde Seifenblasen schwirren durch die Luft. Musik erklingt. Künstler, Gaukler, Puppenspieler, Musiker, Kabarettisten, Schauspieler – zum Teil in Kostümen – versammeln sich an diesem Mittwochvormittag auf dem Domplatz zu einer Kunstaktion der besonderen Art.

Die augenscheinlich gute Stimmung bei Sonnenschein trügt. Die schwarzen Regenschirme über den Kulturköpfen deuten vielmehr auf ein Trauerspiel hin und verheißen düstere Aussichten für die Zukunft. So bunt, frei und einzigartig die Szene in Sachsen-Anhalt auch ist – so schweißen sie an diesem Tag die gleichen Nöte und Sorgen zusammen. Was die Kunst- Kultur-Schaffenden auf die Straße treibt, ist die pure Existenzangst infolge des Corona-Shutdowns. Schauspieler Matthias Engel vom Theater an der Angel bringt es auf den Punkt, während er auf Stelzen über den Domplatz stolziert und theatralisch ruft: „Die Kohle-Not ist groß!“

Mit einer Stimme wollen die freiberuflichen Künstler der Region und ihre Anhänger auf die prekäre Lage aufmerksam machen. „Ich hatte ein bisschen Schiss, ob wir das hinbekommen. Denn die vielen freien Kulturköpfe unter einen Hut zu bekommen, ist schwer. Umso mehr bin ich überrascht, wie viele sich doch auf den Weg nach Magdeburg gemacht haben“, freut sich Kabarettist Tobias Hengstmann, auch Künstler aus Halle und dem Harz begrüßen zu können. Damit habe sich der Aufwand gelohnt: „Es steckte doch viel Arbeit und Organisation dahinter, um den Liveact auf die Beine zu stellen. Aber das Ganze hat auch Spaß gemacht.“

Ines Lacroix, vom Theater an der Angel und Motor der Gemeinschaftsaktion, führt den Zug der Aktionskünstler bis vor den Landtag an. Hinter dessen Türen berät der Finanzausschuss zu einem coronabedingten Kulturförderprogramm. Barfuß und in einem goldenen Kleid verliest die Schauspielerin vor den Augen und Ohren von Olaf Meister (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Finanzausschusses, den Drei-Punkte-Forderungskatalog (siehe Infokasten).

Mit großer Leidenschaft tut sie kund, was ihre Zunft und deren Anhänger bewegt. „Die Menschen von Sachsen-Anhalt haben sich in freier Selbstbestimmung ihre Verfassung gegeben, nach der die kulturelle und geschichtliche Tradition in den Landesteilen zu pflegen sind. Ein Pflegegeld von 400 Euro gegen den Corona-Shutdown ist aber nicht mehr als ein Totenschein für zahlreiche Kulturakteure“, erklärt Lacroix mit Blick auf Sachsen-Anhalts Soforthilfe für Künstler von nur 400 Euro, während in anderen Bundesländern 2000 Euro und mehr pro Person gezahlt werden. „Handeln Sie nach unserer Verfassung! Schützen Sie die Kultur! Vergesst uns nicht!“, fordert die Schauspielerin die Politik unter dem Applaus der Kollegen. Sie hoffe inständig, „dass die freie Szene in ihrer Diffenziertheit und Vielfalt von der Landespolitik ernstgenommen wird und wir alle – auch nach Corona – im Dialog miteinander bleiben“.

Kulturfreund Heinz-Hanns Erhard findet gut, dass die Künstler Flagge zeigen: „Ich halte die Forderungen nach mehr Unterstützung für angemessen. 400 Euro sind im Vergleich zu anderen Bundesländern einfach zu wenig. Davon kann doch niemand leben.“

Tobias Hengstmann indes wünscht sich zudem mehr Klarheit bei den Corona-Richtlinien: „Auch in der neuesten Verordnung gibt es nichts Konkretes. Wir müssen mit allen Kosten in Vorleistungen gehen und dann heißt es vielleicht von ,oben‘: Nein, so geht es nicht.“

Rüdiger Koch, einstiger Kulturbeigeordneter der Stadt Magdeburg, erklärt sich solidarisch mit den Künstlern und wünscht sich mehr positive Signale wie etwa das Magdeburger Soforthilfe-Programm (einmalig 100 Euro pro Person/ 3.000 Euro pro Kultureinrichtung). Das Land mahnt er zur Weitsicht, es müsse die freie Szene konstitutionell fördern, denn: „Wenn die Kultur verstummt, hat das vielleicht nicht sofort, aber mittelfristig schwerwiegende Folgen für das gesellschaftliche Leben.“