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Von Martin Meißner Board und Griffel

02.12.2010, 04:14

Aus Griffel, Schiefertafel und kleinem Schwamm bestand in meiner Schulzeit das Material zum Erlernen der Schrift. Der Griffel war ein Stift aus etwas härterem Gestein, mit dem man auf einer Schiefertafel schrieb. Wenn die voll war, wurde der Text mit einem feuchten Schwamm wieder abgewischt.

Das Schreibzeug steckte in einem ledernen Ranzen, den der Schüler auf dem Rücken zur Schule trug. Der Schwamm hing an einem Faden nach draußen und baumelte beim Laufen hin und her. Draußen war er, damit im Innern die Tasche trocken blieb.

Probleme gab es ständig, wenn man vergaß, den Schwamm zu Hause anzufeuchten. Immer wiederkehrend prüfte der Lehrer, ob das auch geschehen war. Wenn nicht, musste man zur Wasserpumpe, die auf dem Schulhof stand. Noch heute kommt es mir vor, als hing damals die berufliche Karriere eines Schülers davon ab, ob das Tafelschwämmchen auch genügend angefeuchtet war.

Der Griffel fiel mir auf der Elternversammlung meines Kindes ein. Die Klassenlehrerin hatte einen Experten mitgebracht, der über E-Learning referierte. Dazu muss man wissen, dass 200 Jahre Schule abgehakt sind. Dass dies der Unterricht der Zukunft ist. Schüler haben statt Füller, Heft und Buch ein Notebook und ein SMART- Board auf dem Tisch.

Interaktive Lernwerkzeuge, wie es der Fachmann nennt. Diese wären über ein Netzwerk untereinander verbunden. Mit dem Internet auch und einer speziellen Lernplattform, dem Lehrer und der Tafel an der Wand. Klassenzimmer der Zukunft!

Als der Referent noch gar nicht fertig war, entstand schon Unruhe. Anstatt ihn zu bewundern, griffen die Eltern den Experten an. Wie das mit der Schönschrift denn sei, wurde er gefragt. Wenn das Kind auf der Tastatur herumpocht wie der Specht. Und ob das Schreiben per Hand überhaupt noch wünschenswert war.

Außerdem das Runterfallen! Ob der Experte wusste, wie oft eine Federtasche allein in einer Stunde auf den Fußboden fiel. Wie hielt ein SMART-Board so was aus? Unabhängig davon, dass die Schüler anstatt fleißig zu rechnen, Spiele herunterluden oder Dateien öffneten, bei denen man schon rot wird, wenn man nur an sie denkt.

Und so weiter.

Als ein Vater nun einen Schritt zu weit ging und das beschriebene Klassenzimmer der Zukunft mit einem Atomendlager verglich, wurde es für mich Zeit einzugreifen. Eine Art Moderator tat not.

Dumm nur, dass ich das interaktive Klassenzimmer selbst noch nicht richtig begriffen hatte. Aber eines war mir klar und zum Glück fiel mir gleich was ein. Papier würde nicht mehr gebraucht, war mir sofort klar. Die Kopierseuche wäre besiegt, mit der Schule mehr Wald vernichtet hat als alle Abgase der Welt.

"Notebook und Smartboard sind nichts anderes als Griffel, Schiefertafel und feuchter Schwamm", sagte ich. Und auf der Basis der paperfreien Schule schloss sich der Kreis. Der Referent lächelte süßsauer. Wusste wohl nicht recht, was er von mir halten sollte.

Richtig Ärger bekam ich am nächsten Tag.

"Weißt du eigentlich wie peinlich so ein Auftritt vor allen Eltern ist?" fragte mein Kind. "Am besten, die nächste Elternversammlung findet ohne dich statt."

Martin Meißner ist Schriftsteller in Sachsen-Anhalt