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Magdeburger Zwickmühle Wann reißt der Geduldsfaden?

"Meins, wie es sinkt und kracht" verspricht das neue Programm der
"Magdeburger Zwickmühle". Dieses politisch-satirische Programm zählt zu
den besten, die in diesem Haus über die Bühne gingen.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 04.06.2015, 01:28

Magdeburg l Die "Zwickmüller" sind auf der Höhe der Zeit. Das beweist Prinzipal Hans-Günther Pölitz gleich zu Beginn des Premierenprogramms, das er mit einem kräftigen Seitenhieb auf den Rücktritt des Fifa-Präsidenten Blatter eröffnet. Da ist die Meldung gerade mal eine Stunde alt.

Doch das ist nur eine der wort- und musikgewaltigen Leuchtraketen, die die beiden Kabarettisten zu einem wahren politisch-satirischen Feuerwerk vereinen. Es ist ein weltpolitischer Rundumschlag, bei dem sehr intelligent, völlig ohne Political Correctness und sprachlich höchst geschliffen alle devot-medial verbreiteten Vorurteile und Vorverurteilungen aufs Korn genommen werden.

Das beginnt beim Schüren der Angst vor den Russen, vor denen Marion Bach auf der Flucht ist, geht über die Befürchtung, dass 500 Jahre Reformation problemlos durch Halloween dank amerikanischen Konsumeinflusses zu ersetzen sind, bis hin zu den Segnungen von TTIP, dem Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA. "Da sind wir amisiert", singen die Protagonisten, nicht ohne immer wieder deutlich zu machen, wie einfach es doch ist, die Menschen genau das glauben zu machen, was sie glauben sollen.

Nerv des Publikums getroffen
Genau darum geht es auch den Religionen, und zwar allen, wie Marion Bach und Hans-Günther Pölitz äußerst hintergründig und dadurch um so eindringlicher vor Augen führen. Wenn das christliche Abendland die christliche Nächstenliebe vergisst, dann ist sowieso alles verloren, meinen die beiden. Mit Blick auf den feinen Unterschied von Flüchtlingen, die dem Staatswesen nützlich oder lästig sind, heißt es lakonisch: "Wer gut ausgebildete Ärzte aus deren Heimat nach Deutschland lockt, darf sich nicht wundern, wenn die Patienten folgen."

Mit köstlich bissigen Wortspielen jagen die Kabarettisten durch alle Höhen, vor allem durch die Niederungen politischer Machtspielchen, für deren Erhalt so mancher Herrscher auch den Glauben wechselte. Das traut man auch dem höchsten deutschen Staatsrepräsentanten zu, der zwar noch auf Erden, aber ansonsten auf einer Stufe mit dem Herrn im Himmel stünde. Dafür gibt es offenen Beifall des Publikums, dessen Nerv offenbar mit diesem Satz genau getroffen wurde.

Sogar Preußenkönig Friedrich II. erweist sich in diesem Kabarettprogramm als Fanal der Toleranz, wenn er verkündet, dass es unerheblich sei, ob Moscheen oder Kirchen gebaut würden, sofern es sich um gute Menschen handele.

Das sorgt natürlich für Missmut an Stammtischen und in Bierzelten, besonders jedoch bei Montagsdemonstrationen der sogenannten Retter des Abendlandes. "Stell dir vor, heute sei Montag", ruft Hans-Günther Pölitz Marion Bach zu, schwingt sich auf das Rednerpult und hält eine flammende Rede gegen die schrittweise Unterwanderung des schönen Heimatlandes durch Schneeflocken.

Diese in Verse gefasste Anklage der "Wahrheit, die keiner hören will" ist zweifellos einer der Höhepunkte des Programms. Selbst der alte Geheimrat in Weimar hätte vermutlich seine diebische Freude an dieser ungemein gekonnten Verballhornung der fremdartigen "frostigen Kristallisation" gehabt. "Wollt ihr den totalen Winter?" fragt Pölitz in bewusster Anspielung die begeisterten Zuhörer und blickt voraus: "Am Anfang ist es nur ein Schneeball - am Ende das ganze Weltall!"

Programm der Sonderklasse
Es ist die geschickte Regie von Rainer Otto, Kabarett-Urgestein und einstiger Direktor der "Leipziger Pfeffermühle", der die Texte von Hans-Günther Pölitz, Olaf Kirmis, Wolfgang Schaller und Lothar Bölck so auf die beiden Protagonisten zugeschnitten hat, dass trotz der unzähligen Ausflüge auf thematische Nebengleise nie das eigentliche Ziel der politisch-satirischen Reise verloren geht. Im Gegenteil. Sie treiben das kabarettistische Geschehen, das immer wieder durch ausgefeilte musikalische Bearbeitungen nach jedem Thema einen Höhepunkt findet. Neben den klassischen großen Namen ist dabei auch die musikalische Handschrift von Christoph Deckbar oder Ernst-Ulrich Kreschel herauszuhören.

Die Lieder bieten vor allem Marion Bach die Gelegenheit, ihre außerordentliche Vielseitigkeit, ihre komödiantischen wie einfühlsamen Fähigkeiten voll auszuspielen. Überhaupt ist Marion Bach, wie schon in den letzten Programmen, immer stärker in den Mittelpunkt gerückt, hat immer mehr Spielanteile errungen. Ihr Lied "Nach Europa ohe" einer Mutter mit Kind in einem Flüchtlingsboot, das im Mittelmeer versinkt, ist einer der stärksten Momente, bei dem niemandem zum Lachen zumute ist. Aber auch das gehört zum politisch-satirischen Kabarett.

"Meins, wie es sinkt und kracht" ist ein Programm der Sonderklasse, gespickt durch das Credo von Hans-Günther Pölitz gegen Gleichgültigkeit und Trägheit: "Wann reißt uns endlich wieder die Geduld?"