1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Siegfried Pitschmanns Roman "Erziehung eines Helden" wurde in der DDR nicht gedruckt

Strafgericht für Schriftsteller Siegfried Pitschmanns Roman "Erziehung eines Helden" wurde in der DDR nicht gedruckt

"Erziehung eines Helden" hieß ein Romanmanuskript von Siegfried Pitschmann. Zu DDR-Zeiten keine Chance auf einen Druck, hat der kleine Aisthesis Verlag das Buch jetzt nach mehr als 50 Jahren erstmals veröffentlicht. Es ist ein starkes Stück DDR-Literatur und Zeugnis einer heuchlerischen Kulturpolitik jener Zeit, an der der sensible Schriftsteller zerbrach.

Von Grit Warnat 10.06.2015, 03:25

Burg l Siegfried Pitschmann war eine Art Vorreiter. Er hatte sich 1957 für eine Arbeit auf der damals größten Baustelle der DDR, dem Braunkohlekombinat "Schwarze Pumpe", entschieden, noch bevor sich die Bitterfelder Konferenz Künstler in der Produktion wünschte.

"Greif zur Feder, Kumpel", hieß es 1959 im Kulturhaus des Chemiekombinats Bitterfeld, als die erste von zwei Autorenkonferenzen des Mitteldeutschen Verlages stattfand. Da war Pitschmann schon einfacher Betonarbeiter - und griff zur Feder.

Autobiografische Züge

"Erziehung eines Helden" ist autobiografisch geprägt, erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich als Unterhaltungsmusiker verdingt.Getrennt von seiner Freundin, dem Alkohol verfallen, sucht er einen Ausweg aus der persönlichen Misere in einem Bauarbeiter-Job.

In der Produktion trifft er auf Normen und Pfusch, auf Sicherheitsmängel und Brigadiere, die lieber ein kleines Licht bleiben wollen, als zur Verantwortung gezogen zu werden. Pitschmann schreibt über das Warten der Arbeiter auf die Prämie, das Klagen über Nachtschichten, die Schinderei in der Betongießerei, über Kneipentouren nach Feierabend.

Viele andere Schriftsteller folgten anfangs dem Bitterfelder Weg. Auch DDR-Literatur-Ikone Brigitte Reimann, die ebenfalls im Kombinat "Schwarze Pumpe" war und in ihrem Roman "Ankunft im Alltag" darauf Bezug nahm. Da waren die Schriftsteller Reimann und Pitschmann schon ein Paar. Sie lernten sich 1958 kennen, heirateten 1959, lebten erst in Reimanns Elternhaus in Burg, zogen dann nach Hoyerswerda, arbeiteten in "Schwarze Pumpe". 1964 die Scheidung.

Brigitte Reimann, 1933 in Burg geboren, 1973 in Berlin gestorben, hat mit dem 1974 posthum erschienenen Roman "Franziska Linkerhand" über die inneren Widersprüche ihres Landes geschrieben. Es avancierte in der DDR zum Kultbuch.

Vernichtende Kritik für Pitschmann

Pitschmann hingegen geriet in Vergessenheit. Seine ungeschönte Sicht, seine Ehrlichkeit in "Erziehung eines Helden" wollte keiner hören, auch wenn sie der Wirklichkeit entsprachen. Der DDR-Schriftstellerverband distanzierte sich nicht nur, die Kritik war vernichtend.

Erwin Strittmatter, damals gerade Vorsitzender geworden, griff Pitschmann scharf an. Man wolle keine "harte Schreibweise", die man sich von amerikanischen und westdeutschen Schriftstellern abgeschaut habe. Dem Verriss folgen lange Diskussionen mit dem Aufbau-Verlag. Es ging immer ums Düstere, ums "Unoptimistische".

Kurz bevor der Skandal um das Buchmanuskript öffentlich wurde, hat die Burger Volksstimme einen gekürzten Auszug eines Kapitels unter dem Titel "Beton" am 16. Mai 1959 vorabgedruckt.

Das Buch jedoch wurde nicht veröffentlicht. Siegfried Pitschmann, ein großartiger Beobachter, ein moderner Schreiber, ein sensibler Künstler, zweifelte an sich und der Welt, wollte sich das Leben nehmen. Brigitte Reimann half in letzter Not.

Später sprach Pitschmann hinsichtlich des Umgangs mit ihm und seinem Werk von einem "schrecklichen Abschlachten", einem "Strafgericht". In der jetzt mitveröffentlichten Erzählung "Ein Mann namens Salbenblatt", die Pitschmann 1967 geschrieben hatte und die den Faden des Romans wieder aufnimmt, verarbeitet er literarisch seinen Selbstmordversuch.

Zufall bringt Manuskript zu Tage

Dass "Erziehung eines Helden" nun erstmals veröffentlicht wird, ist das Verdienst von Kristina Stella, gebürtiger Dresdnerin, die in Kronberg im Taunus lebt. Die Bibliothekarin, die bereits einen Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Siegfrid Pitschmann herausgebracht hatte, entdeckte das Buch im Literaturzentrum Neubrandenburg, das das Pitschmann-Archiv beherbergt.

Durch Zufall, so erzählt Stella, habe sie das Manuskript bei Recherchearbeiten gefunden. "Mich hat das Buch fasziniert, es ist ein so unglaublich guter Text", sagt sie. Sie hat das einordnende, sehr aufschlussreiche Nachwort geschrieben, das den Leser nach der Lektüre teilhaben lässt an der einst geführten politischen Diskussion um den literarischen Text.

"Es war solch ein zentrales Buch für ihn. Es muste aus der Versenkung geholt werden", sagt Stella.

Pitschmann starb am 29. August 2002. Er wäre in diesem Jahr 85 geworden.