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Seit zwei Jahren betreibt Andreas Bierschenk seinen eigenen DVD-Verlag "ostalgica" Ein Perlenfischer der Filmgeschichte

29.01.2011, 04:33

Andreas Bierschenk ist ein Nimmersatt: Er kann von Filmen nie genug bekommen. Aber im Gegensatz zu anderen Cineasten genügt es dem Magdeburger nicht, Filme zu sehen, zu leihen oder zu kaufen – er bringt sie selbst auf DVD heraus. Klassiker, von denen er glaubt, dass sie zu Unrecht vergessen wurden, weil sie im Mainstream des Popcorngeschmacks untergegangen sind. Mit seinem Ein-Mann-Verlag "ostalgica" presst er seine Erinnerungen an die Jugend auf silberne Scheiben. Nebenberuflich.

Von F.-René Braune

Magdeburg. Er ist Ehemann, Vater und Filmfan. Ein ruhiger, sympathischer Mann von 44 Jahren, in dem eine Leidenschaft brennt – die Liebe zum Film. 23 seiner Favoriten hat er auf eigene Kosten und natürlich auf eigenes Risiko bislang unter dem Namen ostalgica auf den Markt gebracht. Ein ungewöhnliches "Hobby", das viel Geld kostet und bei dem man nie weiß, ob es Verlust oder Gewinn beschert. Was treibt also einen festangestellten IT-Fachmann, der sein Tagwerk mit der Arbeit am Computer verbringt, zu dieser seltenen Nebenbeschäftigung?

Andreas Bierschenk muss nicht lange überlegen: "Ich frage mich seit Jahren, warum es bestimmte Filme, die ich in meiner Kindheit und Jugend gesehen habe, nicht auf DVD gibt. Beispielsweise habe ich als Kind den japanischen Zeichentrickfilm ,Der gestiefelte Kater‘ wirklich geliebt. Mit vielen anderen ging es mir genauso.

In der DDR wurden viele internationale Filme gezeigt, die nicht zuletzt durch die DEFA-Synchronisation Freunde gefunden haben, die aber in der Versenkung verschwunden sind. ,Die blinde schwertschwingende Frau‘ ist auch so ein Beispiel dafür. Es gab niemanden, der eine Veröffentlichung für lohnenswert hielt. Also habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie man eine DVD herstellt und herausbringt."

"Als Kind habe ich mich ins Wohnzimmer geschlichen"

Der aufwändigste Teil einer DVD-Produktion sei die Recherche nach den Rechten, erzählt er. Mit Hilfe eines juristisch ausgebildeten befreundeten Cineasten spürt Andreas Bierschenk jene Leute, Unternehmen oder Filmstudios auf, denen die Rechte an den Objekten seiner Begierde gehören. Mitunter findet er sie in Deutschland, manchmal aber auch in Asien oder in den USA. Völlig überrascht war Andreas Bierschenk, als er mit dem Hollywood-Giganten Universal einig wurde und die Lizenz für den Science-Fiction-Klassiker "Colossus" kaufen konnte. Mit seiner jüngsten DVD, "Der Tag, an dem die Erde Feuer fing" ging es ihm nicht anders – hier lagen die Rechte bei dem Studio mit dem brüllenden Löwen – Metro-Goldwyn-Mayer.

Wenn man sich über den Preis für die Lizenz und deren Dauer einig geworden ist, bekommt der Ostalgica-Besitzer ein digitales Band des Films, das dann von einem professionellen Studio in eine DVD-Master-Copy "umgewandelt" wird. Wenn er mit dem Ergebnis zufrieden ist, geht der Auftrag zur Herstellung von 1000 DVDs an ein Presswerk. Die Covergestaltung übernimmt er häufig selbst, gelegentlich engagiert er ein paar Gestaltungsprofis.

Während Andreas Bierschenk all das erzählt, wandert sein Blick immer wieder zu den DVDs, die er zum Volksstimme-Gespräch mitgebracht hat.

Fast liebevoll sieht er auf seine "Kinder", darunter eine Box mit drei Filmen des tschechischen Regisseurs Karel Zeman, der als Begründer des tschechischen Animationsfilms gilt. "Die Erfindung des Verderbens" findet man in dieser Box, "Baron Prasil – Münchhausen" und "Der Schatz der Vogelinsel".

"Als Jugendlicher habe ich mir diese Filme völlig fasziniert angesehen, weil sie eine tricktechnische Revolution waren", erinnert sich Andreas Bierschenk.

Und dann gesteht er, als Kind ein rechter Schlingel gewesen zu sein – schon als Zwölfjähriger habe er sich – wenn seine Eltern fest schliefen – ins Wohnzimmer geschlichen, um heimlich Filme zu gucken. Lächelnd schildert er, dass er mit seiner Frau hingegen ganz offen über seine "Sucht" reden kann. "Allerdings" gesteht er freimütig, "ist sie der Teil von uns beiden, der das finanzielle Risiko überschaubar hält".

Über Summen möchte der Do-it-yourself-Produzent aus verständlichen Gründen nicht reden, er verrät aber doch, dass sich die Produktionskosten für einen Film und 1000 gepresste DVDs davon im vierstelligen Bereich bewegen. Rein buchhalterisch gesehen tendieren Gewinn und Verlust nach mittlerweile 23 Editionen insgesamt gegen Null.

"Den Versuch ist es mir immer wieder wert"

Von den meisten Titeln hat er kaum 1000 Stück verkauft, sein größter kommerzieller Erfolg war "Die Erfindung des Verderbens" – knapp 8000 Käufer hat diese DVD gefunden. Entweder auf seiner ostalgica-Internetseite, bei Amazon oder hin und wieder auch in großen Elektronik-Märkten, obwohl es bei denen sehr schwer sei, etwas unterzubringen, weil hier doch überwiegend auf den Massengeschmack gesetzt werde.

Im Zeitalter der computergenerierten Spezialeffekte und immer schneller werdender Schnitte ist es für einen Mann wie Andreas Bierschenk nicht leicht, den "großen Treffer" zu landen. "Es gibt so viel austauschbare Massenware, dass gute Filme immer schwieriger zu finden sind", ist von ihm zu hören.

"Was uns vor 40 Jahren oder mehr begeistert hat. entlockt heut vielen nur ein müdes Lächeln. Das ändert aber nichts daran, das es großartige Filme waren und für mich immer noch sind. Natürlich hoffe ich immer wieder, einen großen Treffer zu landen, aber wenn ich wenigstens meine Kosten zurückbekomme, kann ich mich immer noch darüber freuen, einen Film, den ich für eine Perle halte, vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Den Versuch ist es mir immer wieder wert …"

Wenn man sich die Liste der ostalgica-DVDs ansieht, wird deutlich, dass es so ein Perlenfischer der Filmgeschichte nicht leicht hat: "Panik im Jahre Null" (1962) von Ray Milland beispielsweise zeigt, wie Menschen nach einem Atomraketenangriff übereinander herfallen, um zu überleben. In Schwarz-Weiß – und da dürfte bei den meisten Filmfreunden der Auswahlprozess schon ins Wanken geraten.

Natürlich ist Filmgeschmack eine höchst individuelle Angelegenheit. Aber Andreas Bierschenk will den seinen auch niemandem aufdrängen, er möchte einfach nur Angebote machen und outet sich nebenbei als Fan der alten "Star Wars"-Filme. Was liegt also näher als der Wunsch "Möge die Macht mit ihm sein!"