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Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll ist vor 25 Jahren gestorben Seinen Ruhm verdankt er nicht nur seiner Literatur

Von Ingo Lehnick 13.07.2010, 05:20

Er hat eines der meistgelesenen literarischen Werke der deutschen Nachkriegsgeschichte geshrieben, und er ist eine Persönlichkeit, die wie kaum eine andere den Zustand der Bundesrepublik in den 50er bis 80er Jahren beschrieb und als moralische Instanz kommentierte. Im Jahr der wohl größten Anfeindung gegen ihn, 1972, erhielt Heinrich Böll (1917-1985) als erster Deutscher seit Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Am 16. Juli vor 25 Jahren starb er im Alter von 67 Jahren in seinem Haus im Voreifel-Ort Langenbroich.

Köln (epd). Schon zu Lebzeiten war Böll mit seinen Erzählungen ein Klassiker der Gegenwartsliteratur. Werke wie "Ansichten eines Clowns" (1963) und der Verkaufsschlager "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1974) gehören noch immer zur Schullektüre. Neben Kurzgeschichten, Satiren und Romanen schrieb Böll auch Hörspiele und Drehbücher, Theaterstücke und Gedichte. Gemeinsam mit seiner Frau Annemarie, die vier Söhne zur Welt brachte, übersetzte er englische und amerikanische Literatur.

Seinen Ruhm verdankt er aber nicht nur seiner Literatur: Auch die politische Kultur der Bundesrepublik wurde über Jahrzehnte hinweg geprägt durch die Böll-Debatten. Der Schriftsteller verstand sich als "leidenschaftlicher Zeitgenosse". In seinen literarischen Texten ebenso wie in Essays und Reden prangerte er Machtwillkür und Missstände in Staat, Kirche und Gesellschaft radikal an.

Politisch engagiert bis hin zu Sitzblockaden

Die schärfsten Kontroversen wurden rund um den RAF-Terrorismus Anfang der 70er Jahre ausgetragen. Unter der Überschrift "Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?" setzte sich Böll im Januar 1972 im Magazin "Der Spiegel" für einen fairen und rechtsstaatlichen Umgang mit den Terroristen ein und warf der "Bild"-Zeitung und dem Springer-Konzern Stimmungsmache und Verleumdung vor. Das löste eine Hetzkampagne gegen den Schriftsteller aus, die in Forderungen nach seiner Ausreise gipfelte.

Im selben Jahr erhielt er den Literaturnobelpreis, zwei Jahre später erschien dann die allein in Deutschland rund sechs Millionen Mal verkaufte Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" – eine Abrechnung mit dem Sensationsjournalismus.

Seine Prominenz nutzte er für gesellschaftliches und politisches Engagement bis hin zu Sitzblockaden gegen die Stationierung von Atomraketen in den 80ern. Als Vorsitzender des Internationalen PEN-Clubs half er in den 70er Jahren sowjetischen Dissidenten wie Alexander Solschenizyn, der zeitweise bei ihm wohnte, und Lew Kopelew. "Von den engagierten westdeutschen Autoren war Böll der erste", urteilte Günter Wallraff. "Er war es so deutlich, dass er zur Symbolfigur wurde."

Die Stoffe und Motive Bölls rund um die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration sind jüngeren Zeitgenossen zwar eher fremd. Die Texte seien deshalb aber keineswegs verstaubt, sagt die Wuppertaler Literaturwissenschaftlerin Christine Hummel. Von Böll eingängig und plastisch geschilderte Themen wie Krieg, Terrorismus, Familie oder Loyalität zum Staat lösten auch in heutigen Studentenseminaren immer wieder Diskussionen aus, sie machten Grundbefindlichkeiten seiner Zeit erfahrbar. "Das bleibt ein Vermächtnis Bölls."

Der am 21. Dezember 1917 in Köln als Sohn eines Schreiners geborene Böll wurde im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht eingezogen, desertierte kurz vor Kriegsende und kehrte 1945 aus der Gefangenschaft nach Köln zurück, wo er ab 1947 erste Texte veröffentlichte. Sein Aufstieg begann, als er 1951 den Preis der "Gruppe 47" erhielt. Bis zu seinem Tod folgten zahlreiche Ehrungen, darunter neben dem Nobelpreis der Georg-Büchner-Preis (1967).

Publikum bleibt dem Autor treu

Wichtige Faktoren seiner Herkunft sind das Rheinland, in dem die meisten seiner Erzählungen spielen, und der Katholizismus. Seine Eltern seien "antikirchliche Katholiken" gewesen und zu ihm selbst gehöre katholisch sein wie die Hautfarbe zu einem Schwarzen, bekannte Böll einmal. Der Amtskirche begegnete Böll mit beißender Kritik. "Die Tatsache, dass christlich religiös nicht kirchlich bedeutet, ist mir sehr früh vertraut gewesen", schrieb er.

Ein schwerer Schlag für die Forschung ist der Einsturz des Kölner Stadtarchivs im März 2009, in dem der Nachlass Bölls aufbewahrt wurde. Nur ein kleiner Teil blieb unversehrt, für den Rest muss auf die Restaurierung gehofft werden. Im Herbst soll mit dem Erscheinen der letzten drei Bände die auf 27 Bände angelegte Kölner Böll-Gesamtausgabe komplettiert werden, die auch eine Reihe postum veröffentlichter Texte enthält.

Das Publikum bleibt Böll treu. Allein in deutscher Sprache werden jedes Jahr weiterhin mehr als 100 000 Bücher verkauft, im Ausland erscheinen sie nach Angaben des Böll-Verlages Kiepenheuer & Witsch in über 45 Sprachen, darunter Arabisch und mehrere chinesische Dialekte.