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Kunstfestival Mauerfall auf der Waldbühne Benneckenstein

Zum fünften Mal lädt der Verein Kulturrevier Harz zum Festival der darstellenden Künste auf der Waldbühne Benneckenstein.

Von Grit Warnat 30.07.2019, 18:24

Benneckenstein l Von Benneckenstein aus sind es nur drei Kilometer bis Hohegeiß. Für Harz-Wanderer ist das ein Katzensprung. Zu DDR-Zeiten aber trennten beide Orte Welten. Die innerdeutsche Grenze zerschnitt auch den Harz. Hohegeiß war Westen. Benneckenstein Osten. All die Wipfel und Wiesen bestens abgesichertes Grenzgebiet.

Janek Liebetruth, der künstlerische Leiter des Festivals, geboren in Wernigerode, aufgewachsen in Benneckenstein, war neun, als im Wald hinterm Ort die Grenze fiel. Mauerfall, Grenzöffnung, ein gemeinsamer Harz – seitdem er das Festival organisiert, wollte er das künstlerisch thematisieren. Jetzt, im 30. Jahr des Mauerfalls, lautet das Festival-Motto „Grenzen:los!“.

Wenn Liebetruth erzählt, was alles geplant ist, dann spürt man schnell, dass es dem Regisseur und Kulturwissenschaftler überhaupt nicht darum geht, all die Wende-Erinnerungen, die einem in diesen und den kommenden Wochen begegnen, aufleben zu lassen. Weil er das Gefühl habe, dass die Grenze im Kopf wieder größer werde, wolle er vielmehr die Frage nach neuen Grenzen in unseren Köpfen aufgreifen. Oder überwiegen nach drei Jahrzehnten doch die Gemeinsamkeiten? Wie sieht es mit Vorurteilen aus? Welche Hoffnungen haben Westler und Ostler? Und: Sind sie vielleicht wieder weiter voneinander entfernt als vor Jahren?

Die Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm. Besonders nah dran am Thema wird das Stück „Die Legende von Sorge und Elend“ sein. Es ist eine Uraufführung – das Festival stemmt in seiner jungen Geschichte erstmals ein Auftragswerk, das mit der Handlung mitten hineinführt in die Region und ihre deutsch-deutsche Geschichte. Sören Hornung, ein aufstrebender Nachwuchsautor, der jüngst mehrere Theaterpreise gewann, hat den Text geschrieben.

„Die Legende von Sorge und Elend“ geht zurück auf eine Kurzgeschichte, die Janek Liebetruth einmal in die Hände bekam. Sie heißt „Die Legende vom Katzenmann“ und handelt von einem Fluchtversuch Mitte der 1970er Jahre, als ein junger Mann seiner Liebe nach Australien folgen wollte. In Benneckenstein wagte er sich an die Grenze. Wald. Kolonnenweg. Zaun. Eine Selbstschussanlage löste aus. Der Verliebte überlebte. Andere nicht.

Der Fall, so sagt Liebetruth, ist Grundlage gewesen für die neue Geschichte, die das Thema um verdrängte Sehnsüchte, gescheiterte Träume, Selbstlüge und Vertuschung in eine Familiengeschichte packt. Liebetruth, der schon an der Story-Entwicklung mitwirkte, führt selbst Regie. „Wir greifen die Ereignisse von damals auf, führen aber ins Heute“, sagte er. 2015 bis 2017 spielt das Stück, immer an jeweils einem Tag, dem Geburtstag der Mutter, zu dem man sich zusammenfindet und Erinnerungen aufbrechen.

Zur „Legende von Sorge und Elend“ gesellt sich eine zweite Legende: Jene von Paul und Paula. Das Kult-Liebesdrama von Ulrich Plenzdorf war mit Angelica Domröse und Winfried Glatzeder Kassenschlager in den Kinos und einer der erfolgreichsten Filme der DDR. Das Festival zeigt „Die Legende vom Glück ohne Ende“ als zweite eigene Produktion auf der Waldbühne (Regie: Paula Thielecke). Jeder kennt es. Was soll neu sein? „Wir gehen über den Stoff und den Mythos hinaus“, sagt Liebetruth und schiebt nach: „Mehr wird noch nicht verraten.“

Gastspiele gibt es zudem unter anderem von der Theatermanufaktur Dresden, dem Schauspiel Frankfurt, dem Jungen Staatstheater Karlsruhe, dem Theater Strahl aus Berlin. Letzteres zeigt „#BerlinBerlin“ vom Bau der Mauer und der Zerrissenheit einer Familie in der geteilten Stadt. Kindertheater wie Antoine de Saint-Exuperys „Der kleine Prinz“ ist mit dabei, auch das Stück „Patentöchter“, das Jahre nach dem deutschen Herbst spielt und zwei Angehörigen der Opfer- und Täterseite im Briefwechsel über Fragen nach Schuld, Täterschaft und Versöhnung zueinanderführt.

„Patentöchter“ wird nicht auf der großen Bühne gezeigt, sondern im Waldstudio, das ein lokaler Tischler wie eine kleine shakespearsche Theaterbühne in den Wald zimmerte. 80 Leute finden im lauschigen Rund Platz. Voriges Jahr saß man noch auf Paletten.

„Ja, wir wachsen“, freut sich der Festivalchef. Die fünfte Auflage ist mit 17 Tagen das bisher längste Theaternatur-Festival – auch das teuerste. Auf 260 .000 Euro beläuft sich das Budget. Angefangen hatte es vor fünf Jahren mit 90 .000 Euro und 2500 Zuschauern. Zuletzt kamen bis zu 4000 Leute auf die idyllische Bühne mitten im Wald.

Liebetruth wird nicht müde, schon vorauszusehen. Das Gerüst für das nächste Festival steht bereits. Dann lautet das Motto „Endstation:Einheit“. Es soll nahtlos anknüpfen an das jetzige. Der Festivalchef spricht von einer Doppelspielzeit. Der Wende folgt die Einheit – auch auf der Waldbühne Benneckenstein.