La Route d'Istanbul: Von Belgien in den Kampf für den IS
La Route d'Istanbul erzählt die Geschichte von Radikalisierung und Entfremdung auf der einen Seite und von unbedingter Mutterliebe auf der anderen. Für Betroffene hat der Film einen eindeutigen Rat: Die Kommunikation darf niemals enden.
Berlin (dpa) - Dieser Moment muss die Hölle gewesen sein: Bei der Polizei erfährt eine Mutter, dass ihre Tochter auf dem Weg nach Syrien ist und sich dem Islamischen Staat anschließen will. Die Ermittler haben keinerlei Zweifel.
Auf einen Schlag wird ihr klar, dass das Leben von nun an nicht mehr so sein wird wie zuvor. Der französische Filmemacher Rachid Bouchareb hat auf der Berlinale seinen neuen Film La Route d'Istanbul präsentiert.
Elisabeth (Astrid Whettnall) lebt mit ihrer Tochter Elodie (Pauline Burlet) in der belgischen Provinz. Haus am See, Basketball-Training, Kleinstadt-Idylle. Doch die 20-Jährige tritt kurzerhand aus dem Sportverein aus, vernachlässigt ihre beste Freundin und nimmt eines Tages Reißaus an der Seite eines Fremden. Als Elodie nicht wie vereinbart nach Hause kommt, beginnt die Mutter mit Nachforschungen und ahnt nicht, was sie erwartet.
Die Sorge von Eltern um ihre radikalisierten Kinder ist kein neues Thema für den französischen Regisseur Bouchareb. Auf der Berlinale 2009 hatte er sich schon in London River genau damit befasst.
Mit seinem neuen Film, der in der Reihe Panorama Special auf der Berlinale zu sehen ist, möchte der Filmemacher diesen Eltern, die um ihre Kinder kämpfen, Respekt zollen, wie er im Anschluss an die Berlinale-Premiere sagte. Er rief sie dazu auf, niemals die Kommunikation zu Kindern abbrechen zu lassen. Er möchte mit dem Film betroffenen Eltern eine Stimme geben.
Die Mutter fällt aus allen Wolken, als ihr auf schmerzhafte Weise klar wird, dass die Tochter ein Parallelleben geführt hat, von dem sie überhaupt nichts mitbekommen hat. Erst ein Abschiedsvideo schleudert ihr die brutale Wahrheit entgegen. Sie macht sich Vorwürfe: Was lief falsch? Warum? Da die belgischen Behörden nichts unternehmen, entschließt sich Elisabeth zu handeln und reist der Tochter ins türkisch-syrische Grenzgebiet hinterher.
Den Kontakt nicht abbrechen lassen - den Rat hatte auch sie beim Besuch einer Selbsthilfegruppe für Angehörige bekommen. Bleiben Sie in Kontakt, koste es, was es wolle. Benutzen Sie Handys, Skype, Facebook, Freunde - all diese Mittel sind gut, heißt es da. Und: nicht in das Spiel Gut gegen Böse hineinziehen lassen. Der Rat zeigt Wirkung, Elodie und ihre Mutter kommen zunächst wieder in Kontakt. Doch die Wut von Elisabeth ist zu groß. Vorwürfe, Geschrei, Beleidigungen, und wieder herrscht Funkstille.
Bouchareb, insgesamt zum sechsten Mal in Berlin dabei, zuletzt im Wettbewerb 2014 mit La Voie de l'Ennemi, erhielt für seinen Film kräftigen Applaus des Premierenpublikums. Bei der traditionellen Fragerunde wollten es die Zuschauer dann ganz genau wissen: Was waren seine Motive für den Film und was hat er sich bei dem Ende gedacht?
Unterm Strich mutet der Film dem Publikum nicht sonderlich viel zu, er belässt vieles bei Andeutungen und setzt mehr auf die inneren Konflikte, unter denen die Figuren zu leiden haben. Bouchareb hat aber ein Werk abgeliefert, das die Beklemmung der verzweifelten Mutter auf die Zuschauer überträgt - und zwar beeindruckend schnell und intensiv.
Die Reise der Frau gerät zu einem Trip ins Ungewisse. In der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien wird sie daran gehindert, in das Bürgerkriegsland einzureisen, und steht auf einmal vor einer harten Entscheidung.