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Theater Miniaturen von großem Reiz

Das Zwei-Personen-Stück „Patricks Trick“ erlebt mit Autor Šagor in Quedlinburg seine Premiere am Nordharzer Städtebundtheater.

Von Hans Walter 29.01.2017, 23:01

Quedlinburg l Zum Inhalt: Der elfjährige Patrick (Sebastian Borucki) wünscht sich einen großen, starken Bruder. Wie soll das gehen? Also einen kleinen Bruder. Er belauscht seine Eltern, die tatsächlich ein Kind erwarten. Aber es könnte behindert zur Welt kommen. Niemals sprechen können. Trisomie? Was ist das? Will er das? Ist er stark genug, einen kranken Bruder anzunehmen? Wie lernt man sprechen? Wie entwickelt man Empathien?

Zum Autor: Šagor wurde 1976 in Stadtoldendorf in Niedersachsen geboren. Vielfach preisgekrönt wurde er sowohl als Autor mit über 20 Stücken vorwiegend für Erwachsene als auch als Regisseur. Mit 30 Inszenierungen von Bremen bis Wien schrieb er zeitgenössische Theatergeschichte. In der letzten Spielzeit inszenierte er „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ von Lukas Bärfuss am Theater Magdeburg.

Zum Stück: „Patricks Trick“ ist kein dramatisches, sondern ein theatrales Stück. Also nicht mit herkömmlichem Aufbau – Konflikt, Schürzung des Konflikts, Lösung. Der Text sind höchst assoziative Dialogschnipsel zwischen Patrick und seinem Freund (oder großem Bruder?) Valentin (Stefan Werner Dick).

Beide Jungs albern herum. Sie erspielen sich die Handlung in kleinen Etüden. Sie testen ihre Umwelt: die besorgten, wahnsinnig bedrückten Eltern. Den souveränen Lehrer Hansen. Den Klassen-Kraftprotz Danijel. Den kroatischen Boxer. Die Deutschlehrerin, Frau Schlepper. Die behinderte Gemüsefrau, die mantraartig die Marktpreise ihrer Angebote herunterrattert. Den Professor „Milch“ – eingesponnen in seine philosophische Gedankenwelt.

Der Wechsel zwischen Personen und Lebensumständen geht blitzschnell. Über das assoziationsoffene Bühnenbild und über den Wechsel von Kostüm-Accessoires, aber im Wesentlichen über Schauspielerisches und über die Sprache. Danijel hat mühsam Deutsch gelernt und lispelt, aber redet unglaublich gern. Weil er den Kontakt braucht. Frau Schlepper war Legasthenikerin, überwand sich und lehrt nun Deutsch. Welch sprechender Name. Der Professor ist verliebt in die Strenge Bach’scher Musik und grandios schöne lyrischer Sprache.

Indem die beiden Schauspieler die jeweiligen Sprachfärbungen aufnehmen, entstehen ganz eigene Lebenswelten. Miniaturen von großem Reiz. Für die Erarbeitung der unbekannten Boxersprache Kroatisch beispielsweise gingen sie und ihre Regisseurin Rosmarie Vogtenhuber für ihre Studien in das kroatische Restaurant „Adria“. Die Regisseurin befasste sich seit über einem Jahr mit Šagors vertracktem Stück und dessen innerer Struktur; fand mit der Szenografin Bianca Fladerer eine fantastisch minimalistische Lösung.

Denn Haltungen und Sprache – das sind die Geheimnisse, die der Autor seinen Helden mitgab, sie als vollgültige Menschen zu etablieren – von Vogtenhuber und Fladerer intelligent entschlüsselt.

In dem Maße, wie sich der eigentlich schüchterne Patrick Menschen erschließt – oftmals Außenseiter oder Behinderte –, kommt er seinem behinderten Bruder nah. Am Ende wird er selbst zum großen Bruder für den kleinen Behinderten. Seine Gedanken-Odyssee machte ihn stark.

Ein wenig erinnert „Patricks Trick“ an Wolfgang Herrndorfs „Tschick“. Sie sind Brüder im Geiste – Patrick, Maik Klingenberg, vielleicht auch Tschick. Philosophischer Anspruch in einem großen Theaterabend von nur 60 Minuten für alle vier Beteiligten sowie den Dramaturgen Sebastian Clar. Dem Autoren gereichte er zur Freude.

 

Die nächsten Vorstellungen: In Halberstadt (Kammerbühne) am 2. Februar und 8. März; in Quedlinburg (Neue Bühne) am 12. und 14. Februar sowie am 1. und 2. März.