Konzept-Oper Der Chor ist der Staat
In Halle hat die Oper "Mein Staat als Freund und Geliebte" von Johannes Kreidler Premiere gefeiert.
Halle l Das Publikum der Oper Halle schwankt zwischen Irritation und Faszination. Mehrere Gäste verlassen unter Kopfschütteln den Saal, andere applaudieren unter Gelächter. Die Konzept-Oper des jungen deutschen Komponisten Johannes Kreidler hat am 27. April in Halle Premiere gefeiert.
Der 1980 in Esslingen geborene Johannes Kreidler ist Komponist, Konzeptionist und Regisseur. In seiner neuesten Oper „Mein Staat als Freund und Geliebte“ verzahnt der Konzeptkünstler Chor, Video, Schauspieler, dramatischen Tenor, Ballett, Orchester und Elektronik zu einem Opernexperiment. Im Fokus stehen der Staat und das einzelne Individuum - in wechselseitigen Dialogen. So treten nicht nur der Chor als fiktiver Staat in Erscheinung, sondern in Videosequenzen aus Film und Fernsehen auch Schauspieler oder Politiker, welche mit Kreidlers Texten synchronisiert werden. „Ich bin der Staat, ich bin alles. Kein Blick für das Individuelle“, heißt es unter anderem. Das Werk klingt anders, frisch und aktuell.
Tenor Christian Voigt tritt gelegentlich aus dem Chor hinaus und stellt sein stimmliches Können unter Beweis. Die Tänzer des Balletts Rossa sprengen die Szenerie unregelmäßig mit punktgenauen Tanzeinlagen, während Pianist und Performer „stefanpaul“ eindrucksvoll als Hauptakteur agiert. Er wirbelt über die Bühne, fängt den Chor mit einem meterlangen Telefonkabel ein oder spielt elektrisiert Klavierstücke von Chopin bis Liszt.
Immer wieder geht "stefanpaul" mit dem Chor auf Tuchfühlung, dem Star der Vorstellung. Der Chor ist der Staat, kollektiv in Frack und Abendkleid, Birkenstocksandalen und Perücken gekleidet.
Oft als träge Masse bewegt er sich auf der kargen, mit Neonröhren erleuchteten Bühne. An den Flanken der Bühne stehen große weiße Wände, beklebt mit Paketband. Neben Stuhlreihen rundet eine kleine Wohnzimmerlandschaft mit großem Fernseher das überschaubare Bühnenbild ab.
Im Orchestergraben spielt die Staatskapelle Halle hervorragend unter der musikalischen Leitung von Christopher Sprenger hauptsächlich bekannte Passagen aus verschiedenen Opern, die stets in neue Kontexte gesetzt werden.
Johannes Kreidler trat bereits in der Vergangenheit immer wieder mit ungewöhnlichen Aktionen hervor. So komponierte er ein 33-sekündiges Stück mit 70 200 Fremdzitaten, die er alle bei der Gema anmeldete, oder lagerte die Komposition „Fremdarbeit“ als Auftragskomposition nach Indien und China aus. Dort sollte man „typische Exemplare seiner eigenen Musik billig produzieren“, heißt es auf der Website des Konzeptionisten.
Kreidlers Oper ist eine Collage und bietet für verschiedene Geschmäcker etwas. Sie ist lustig wie tiefsinnig, stellt wichtige Fragen und beleuchtet viele tagespolitische Aspekte, wie die Flüchtlingsdebatte.
Johannes Kreidler beweist ein feinsinniges Gespür für Assoziationen unterschiedlicher Art. Wer nur Krach und Lärm erwartet, wird enttäuscht. Eine Oper im traditionellen Sinne ist Kreidlers Werk aber gewiss auch nicht.
Weitere Vorstellungen: 6. Mai, 16 Uhr; 12./26./ 30. Mai; 16./22. Juni (jeweils 19.30 Uhr). Karten sind erhältlich unter der Rufnummer (0345) 5110 777 oder unter theaterkasse@buehnen-halle.de. Weitere Informationen zum Werk gibt es auf der Homepage der Oper Halle.